
Wir Ertrunkenen
„In den Erinnerungen, Tagebuchaufzeichnungen, Legenden und Klatschgeschichten entstehe so ein ‚literarisches Denkmal‘ für die Marstaler. Als roter Faden zieht sich durch den Roman das Verschwinden der Marstaler Väter, sei es, dass sie als Seefahrer ertrinken oder sich, wie die Figur des das Buch eröffnenden Laurids Madsen, nach Samoa absetzen.“
– Süddeutsche Zeitung
„Wir Ertrunkenen“ von Carsten Jensen erschien auf Deutsch vor knapp 15 Jahren und wurde damals von vielen Kritikern gefeiert. Der Autor stammt aus Marstal, meiner neuen Heimat, und die Geschichte dreht sich auch um Marstal, den einst zweitwichtigsten Hafen Dänemarks. Das Buch ist ein Wälzer. Über fast 800 Seiten erstreckt sich diese Familiensaga, beginnend mit dem deutsch-dänischen Krieg (1848) und endend im Zweiten Weltkrieg. Es geht um die Seefahrt und was sie für die Menschen dieser Insel bedeutete. Broterwerb, große Abenteuer, feinstes Seemannsgarn, manchmal unverhoffter Reichtum, aber vor allem unzählige an das Meer verlorene Väter, Söhne und Brüder.
Wegen des Lokalkolorits und dem Wunsch, ein besseres Verständnis für diesen Ort und seine Menschen zu erlangen, habe ich „Wir Ertrunkenen“ mit viel Enthusiasmus begonnen. Der verflog allerdings rasch. Der Roman beginnt mit Kriegsschilderungen, die seltsam humorig beschrieben werden. Es gibt immerhin ganz fantastische Abschnitte, die ahnen lassen, wie großartig Jensen erzählen und schreiben kann. Aber ich fand einfach nicht in die Story hinein und legte das Buch schließlich weg. Erst Wochen später startete ich einen neuen Versuch. Nach dem Krieg wurde es tatsächlich besser. Es folgten einige tolle Seiten, und ich war froh, nicht aufgegeben zu haben. Dann quälen und töten ein paar Jungs einen kleinen Hund, was über sehr viele Seiten (ich habe sie nicht gezählt) beschrieben wird. Ich habe vorgeblättert und vorgeblättert, nur um immer wieder in dieser schrecklichen Szene zu landen. Irgendwann fühlte ich mich elend, und der Tag war gründlich versaut.
Laut Kindle bin ich bei 9%. Vielleicht lese ich in ein paar Monaten weiter. Die Story reizt mich immer noch: Ein Familienvater verschwindet auf See, und einer seiner Söhne macht sich schließlich auf die Suche nach ihm. Nach einer wahren Weltreise kehrt er ohne den Vater heim, hat aber stattdessen ein Erfolgskonzept in der Tasche. Er wird Reeder, baut fortan große Handelsschiffe, und die Seefahrt lässt Marstal mehr denn je erblühen. Doch die Frauen haben keine Lust mehr, über kurz oder lang zu Seefahrerwitwen zu werden. Sie begehren auf. Ein spannender Machtkampf entwickelt sich.
Wie ich schon schrieb, Jensens Stil und erzählerisches Talent offenbaren sich schnell. Aber inhaltlich stieß ich mich zigmal an irgendwelchen spitzen oder stumpfen Ecken. Manches fand ich uninteressant, anderes befremdlich oder schlicht langweilig, und wieder anderes tat einfach nur weh. Ein Rezensent in der FAZ schrieb „Da werden Jungenträume wahr“, und vielleicht liegt es daran – es ist ein Jungsbuch. Eigentlich hat mich das noch nie gestört, aber in diesem Fall sprang partout nichts über. Wirklich schade. Vielleicht wage ich im Sommer einen neuen Anlauf.

