
Winter is coming
„It was a time for warm embraces, for smiles, for toasts and reconciliations, for renewing old friendships and making new ones, for laughter and kisses. It was a good time, a time of peace and plenty. But winter was coming.“
― George R.R. Martin | Fire & Blood
Alle warnen mich vor dem Winter. Erst gestern lernte ich eine ältere Dame aus Amsterdam kennen, die seit zwei Jahren hier ist. Sie bereut es, hergezogen zu sein, wegen des Winters, denn er sei dunkel und still. Sie kann sich nicht vorstellen, dass manche Menschen genau das mögen.
Eine meiner Airbnb-Gastgeberinnen, eine Deutsche, die vor 12 Jahren nach Ærø kam, berichtete mir bereits mit einem Lächeln von den ganzen Unkenrufen, dass die Zugezogenen nach dem ersten Winter wieder verschwinden würden. Ihr Mann ist der deutsche Arzt der Insel, und als er damals seine Stelle antrat, verwehrte man ihm die Möglichkeit, gleich seine eigene Praxis zu eröffnen. Weil man sicher war, dass er nicht bleiben würde.
Ich kann mir schon vorstellen, dass man die Einsamkeit der dunklen Monate unterschätzt. Natürlich könnte ich jetzt große Töne spucken, dass ich überhaupt gar kein Problem damit haben werde. Aber bestimmt bekomme auch ich spätestens im Februar nächsten Jahres das erste Mal eine kleine Krise. Und noch vor zehn Jahren wäre ein dauerhafter Aufenthalt auf einer dänischen Insel für mich auch nicht vorstellbar gewesen. Wer weiß, wie ich die Sache nach noch einmal zehn Jahren sehe. Gesetzt den Fall, ich werde überhaupt so alt.
Ich sehe hier aber ganz besonders ältere Menschen, die eine solche Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlen, so eine tiefe Erdung. Sie radeln morgens um sechs im Bademantel an mir vorbei, mit blitzenden Augen und gut gelaunten Grüßen auf den Lippen, auf dem Weg zu ihrem täglichen Dip ins Meer. Im Winter machen sie das vielleicht nicht, oder sie nehmen dann doch lieber das Auto. Aber ich weiß, dass die Mehrzahl von ihnen tatsächlich zu jeder Jahreszeit in der Ostsee schwimmen geht. Und bestimmt tut der Winter dann ein bisschen weh. Aber er gehört dazu, und man weiß, dass der Frühling kommt, und dann der Sommer mit all den Touristen, die einem die besten Plätze im Café streitig machen. Und dann freut man sich, wenn sie wieder verschwinden und die Preise für die Fähre wieder normal sind und man an der Kasse beim SuperBrugsen unbehelligt schwatzen kann.

