Streichhölzer
Weise Worte

Vernetzungsdekadenz

„Betroffen wären alle kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden.“
– Studie des Büros für Technikfolgen: Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften durch Stromausfall


Zu Beginn der Coronakrise habe ich „Blackout“ gelesen und auch darüber geschrieben, wie sehr mich die Schilderung des Dominoeffekts nach einem überregionalen und mehr als nur ein paar Stunden andauernden Stromausfall beeindruckt hat. Dagegen erscheint Corona banal. Und wenn man sich vor Augen führt, wozu manche Menschen fähig sind, bloß weil Toilettenpapier knapp wird oder man beim Tanken eine Maske tragen soll, ist Marc Elsbergs realistischer Thriller vielleicht sogar verharmlosend.

Experten sind sich einig, dass ein Blackout in Europa keine Frage des OB, sondern des WANN ist. Denn im Zeitalter alles durchdringender Vernetzung ist auch das System von Energieerzeugung, Energieverteilung und Energieverbrauch in rasantem Tempo immer komplexer geworden. Damit sind unweigerlich Schwachstellen entstanden, während den Anforderungen an die Troubleshooter kaum noch jemand gerecht werden kann.

Das hier soll kein katastrophierender Post sein. Sicherlich bin ich wegen des Survival-Themas, das unweigerlich auch zu Berührungen mit der Prepper-Szene führt, zu diesem Beitrag veranlasst worden.

Mitschuld hat auch der Ausfall des Zuckerberg-Gefüges vor ein paar Tagen. Denn mir wurde sehr anschaulich vor Augen geführt, wie hilflos Teile einer ganzen Generation schon bei einer kurzfristigen Nichtverfügbarkeit von ein paar Apps sind.

Außerdem werden hier im Ort gerade Glasfaserkabel verlegt. Die Straße für Straße vorrückende Baustelle hinterlässt nicht nur Stolperfallen, sondern auch Haushalte mit schwankender Internetverbindung. Es gab Menschen im Viertel, die angesichts nicht mehr funktionierender „smarter“ Haustechnik hysterisch wurden. Ein ausgefallener Mähroboter und das Fehlen der Einkaufsliste, die normalerweise der schlaue Kühlschrank liefert, führten dazu, dass sich erwachsene Menschen auf offener Straße wüst beschimpften.

Und schließlich strahlte der ORF anlässlich der Jubiläumsausgabe von Marc Elsbergs „Blackout“ eine interessante Sendung zum Thema aus. Das gab mir den letzten Anstoß.

Wie die eingangs zitierte Studie bestätigt, ist sich das Gros unserer Gesellschaft nicht einmal ansatzweise bewusst, wieviel der täglichen Selbstverständlichkeiten auf einmal nicht mehr verfügbar wären, wenn es zu einem Blackout käme, geschweige denn, was die Folgen wären. Diejenigen, die vom Hochwasser betroffen waren, haben sicherlich eine Ahnung bekommen. Doch das war eine regional begrenzte Katastrophe. Ich möchte sie auf keinen Fall verharmlosen, sondern lediglich die Relation im Vergleich zu einem weit größeren Szenario verdeutlichen. Einem Szenario, dessen Wahrscheinlichkeit alarmierend ist.

Wenn man sich dann noch bewusst macht, wie das Krisenmanagement unserer Regierung in der Pandemie gelaufen ist, oder wie schlecht es um den ein oder anderen Atomreaktor in unseren Nachbarländern bestellt ist, möchte man lieber eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung anschauen als weiter zu denken.

Soweit ich weiß, lernt man grundsätzliche Überlebensstrategien für Krisensituationen bei den Pfadfindern und bei der Bundeswehr. Aber in meinem privaten Bekanntenkreis gibt es nur eine einzige Person, von der ich sicher weiß, dass sie mit einen Feuerstahl umgehen kann. Zwei sind zumindest in Besitz eines Campingkochers, haben ihn aber ewig nicht benutzt. Wahrscheinlich hat auch nur einer von beiden eine volle Gaskartusche. Kein einziger hat die vom Zivilschutz empfohlenen Nahrungsvorräte für 14 Tage oder Trinkwasser für eine so lange Zeit. Keine Ahnung, wer ein Kurbelradio zuhause hat.

Ich selbst bin übrigens genauso nachlässig. Noch.

Möglicherweise bin ich aber auch schlecht informiert, und manche meiner Bekannten haben sehr wohl ein gut sortiertes Notfallpackage griffbereit, sprechen aber nicht darüber. Ich werde dem einmal auf den Grund gehen. Auch aus beruflicher Neugier.