
Schicksal
I like digging holes and hiding things inside them
When I grow old, I hope I won’t forget to find them
Cause I’ve got memories and travel like gypsies in the night
I build a home and wait for someone to tear it down
Then pack it up in boxes, head for the next town running
I’ve got no roots, but my home was never on the ground
– Alice Merton
Wir sind beim letzten, finalen Aussortieren von Erinnerungsstücken. Allein die Tatsache, dass wir nach all den Monaten immer noch mit etwas beschäftigt sind, das andere Leute an einem Wochenende erledigen, ist ein Beweis dafür, dass meine Schwester die Angelegenheit mit großer Sorgfalt betreibt. Ich selbst würde das alles lieber zügiger erledigen. Ich habe weniger vom Sammel-Gen unserer Mutter abgekriegt. Grundsätzlich bin ich nicht sehr materiell veranlagt. Ich habe nicht genug Platz und durch meine zahlreichen Umzüge Übung darin, brutal auszusortieren. Ich reiße das Pflaster gerne schnell ab.
Doch mit ihrer Gründlichkeit hebt meine Schwester immer mal wieder Schätze. Dinge, bei denen ich nachträglich sehr froh bin, dass sie nicht unter meinem Radar hindurch ins Erinnerungs-Nirvana beziehungsweise in den Container gewandert sind. Manchmal habe ich als die Jüngere aber auch gar keine Ahnung von der Bedeutung einiger Besitztümer unserer Eltern. Ein prägnantes Beispiel dafür sind zwei blaue Porzellan-Sammelteller von Royal Copenhagen. Man findet zahlreiche Exemplare davon auf Ebay & Co., für ein paar Euro. Es sind also keine wertvollen Sammlerstücke oder Raritäten. Nichts, was sich heutzutage jemand unserer Generation und unseres Geschmacks in die Wohnung stellen würde. Entsprechend hatte ich sie kurzerhand aussortiert.
Doch meine Schwester hat die beiden Teller sofort gerettet und mir dann erklärt, was es mit ihnen auf sich hat. Meine Großeltern mütterlicherseits haben sie nämlich unseren Eltern zu unserer Geburt geschenkt. Eine beliebte Tradition in dänischen Familien. Der Geburtsteller meiner Schwester stammt demnach aus dem Jahr 1966 und zeigt eine Amsel vor einer typisch dänischen Kirche. Auf meinem Geburtsteller aus dem Jahr 1972 ist ein Hundeschlitten abgebildet. Meine Schwester sagte mir, dass sie so fasziniert von diesen Tellern sei, weil Amseln für sie eine besondere Bedeutung haben. Und ich hätte ja schließlich Schlittenhunde. Ob ich das denn nicht auch total schräg fände?
Ehrlich gesagt fand ich es wohl sogar noch schräger als sie, denn ich bin insgeheim überzeugt davon, dass auch meine Schwester früher oder später nach Dänemark ziehen wird, in genau so ein Idyll, wie man es um diese weißen Kirchen mit Treppengiebel herum findet. Deswegen war für mich das Hintergrundbild auf ihrem Teller noch viel bezeichnender als die Amsel.
Ich glaube eigentlich nicht an Schicksal. Oder möglicherweise weigere ich mich auch nur, daran zu glauben. Ich halte an der Illusion des freien Willens fest. Meistens jedenfalls. Aber die beiden Teller gehören zu den Dingen, die auf den verschwurbelten Resonanzboden meiner inneren Esoterikerin fallen. Ohne, dass es Scherben geben würde.

