Leere Herzen von Juli Zeh
Weise Worte

Leere Herzen

„Als erster und bisher einziger Terrordienstleister der Republik hat die Brücke die Branche befriedet und stabilisiert. Sie sorgt für das richtige Maß an Bedrohungsgefühlen, das jede Gesellschaft braucht.“
– Juli Zeh | Leere Herzen


Fast dachte ich, mir wäre schon wieder ein Buchfehlkauf unterlaufen. Dabei hielt ich „Leere Herzen“ für eine sichere Sache, denn ich liebe Juli Zeh. Aber die ersten Seiten fand ich schwer zu ertragen. Obwohl es der unverkennbare Stil und die unverkennbar gute Kenntnis richtig fieser Menschen und Angelegenheiten war, die ich an Frau Zehs Büchern so mag. Doch mir standen die Haare zu Berge, und ich befürchtete, dass es diesmal des Guten zuviel wäre. Zu fiese Menschen, zu fiese Umstände, es roch nach all den Dingen, die mich die täglichen Nachrichten und besonders Twitter hassen und meiden lassen.

Glücklicherweise habe ich doch weiter gelesen. Wie kommt Juli Zeh nur auf diese unglaublichen Stories, die einerseits total erschreckend sind, nahezu absurd, und andererseits völlig plausibel? So plausibel, so perfide, dass man seine Nachbarn und die Menschen, die man auf der Straße oder im Supermarkt trifft, voller Skepsis und Argwohn beäugt. Meine Theorie ist, dass ihr ähnliche Geschichten in ihrer Anwaltslaufbahn begegnet sind. Denn solche wahnwitzigen Ergebnisse fataler Verkettungen unguter, aber allzu menschlicher Triebe und Ideen kann eigentlich nur die Realität hervorbringen.

„Leere Herzen“ spielt in der ganz nahen Zukunft, im Jahr 2025. Britta und ihr (schwuler) Freund Babak sind mit einer Geschäftsidee reich geworden, deren wahre Natur sie tunlichst verschweigen. Nach außen sind sie als Heilpraktiker tätig, die eine eigene Methode entwickelt haben, um suizidale Menschen vor dem Selbstmord zu bewahren. Der Kern ihres Geschäfts ist es allerdings, diejenigen Kandidaten, bei denen Hopfen und Malz verloren scheint, als Selbstmordattentäter an passende Organisationen zu vermitteln. Ihre Akquise ist proaktiv: Babak hat einen Algorithmus programmiert, der aus Selbstmordforen und dem Darknet geeignete Personen herauspickt. Die erhalten dann einen hübschen Flyer der „Brücke“. Sinngemäß: Wenn wir es nicht schaffen, dich von deinen Selbstmordgedanken abzubringen, bieten wir dir eine Möglichkeit, deinem Tod einen Sinn zu geben: Stirb für eine gute Sache deiner Wahl. Wir regeln alles für dich.

Die Zahl der Menschen, die Britta und Babak retten, ist wesentlich höher als die derjenigen, die sie in den Tod schicken und an denen sie sich dumm und dämlich verdienen. Bedeutet das irgendetwas? Ich spoilere nicht, wie die Geschichte weitergeht, aber natürlich nimmt das Schicksal irgendwann, nach einigen entspannten fetten Jahren, seinen Lauf. Ist es ein plötzlich auftauchender Wettbewerber? Ein Rächer? Oder gar das jüngste Gericht?

„Leere Herzen“ ist ein entlarvender Spiegel für den Wandel von Ethik, Werten und Moral, den wir seit ein paar Jahren erleben. Fantastisch konstruiert und geschrieben. Man ist bei der Lektüre nie sicher, ob der Humor oder das Makabre schmerzhafter beißt. Aber es besteht kein Zweifel, dass sich die Wunden entzünden.

Ich las gestern, dass immer mehr „Investoren“, hinter denen sich meist Unternehmen wie Mars oder Nestlé verbergen, massenweise Tierkliniken und Tierarztpraxen aufkaufen, worüber ich mich maßlos aufgeregt habe. So wie ich mich darüber aufrege, dass Pflegeheime und Demenz-WGs als Investionsobjekte (todsichere Anlage!) gehandelt werden. Ich kenne etliche Menschen, die mich für meine Empörung belächeln, weil ich eben einfach kein Siegertyp bin. Das ist unsere schöne, neue Welt, und die hat Juli Zeh in „Leere Herzen“ fantastisch getroffen.