Schädel eines Primaten
Weise Worte

Juju

„This is not just primitive rural superstition. Juju is practiced by all kinds of people, from illiterate herd boys to multi-dregreed university professors. If you don’t understand the power of this belief, you will never truly grasp the rich albeit often incomprehensible spirituality of Africa.“
― Lawrence Anthony | The Elephant Whisperer


Vom Juli 1963 bis zum Juni 1964 hat meine Tante Hanne als Lehrerin in einem nigerianischen Dorf gearbeitet. Sie ist in dieser Zeit oft mit Frauen des Dorfes zu einem mehrere Kilometer entfernten Markt gegangen, um einzukaufen. Dafür hat sie sogar gelernt, einen speziellen Korb auf dem Kopf zu balancieren. Und sie hat Juju kennengelernt. Denn auf dem Markt konnte man nicht nur Lebensmittel kaufen, sondern auch Juju. Gutes Juju, böses Juju und diverse Amulette und Talismane gegen Juju. Noch heute besitzt meine Tante einen Affenschädel gegen böses Juju, den sie damals auf diesem Markt erstanden hat.

Juju ist eine vor allem in Westafrika verbreitete religiöse Praktik, die sich besonders um Amulette, Talismane und so weiter zu drehen scheint. Es gibt deutliche Parallelen nicht nur zu Hoodoo und Vodou, sondern auch zu der bei uns aktuell sehr präsenten Auffassung, dass alles und jeder eine bestimmte Energie oder Schwingung hat, die man negativ oder positiv beeinflussen kann. Bei Juju sind es allerdings bevorzugt mächtige „Hexenmeister“, die eine „Medizin“ oder ein „Gift“ in einen Gegenstand hineinzaubern können. Alternativ können sie Menschen „verfluchen“ oder mit einer Art „Bann“ belegen, der sicherstellen soll, dass ein bestimmter Vertrag oder eine Vereinbarung eingehalten wird. So hat man zum Beispiel in der Zeit, in der in Westafrika der Sklavenhandel florierte, bewirken wollen, dass die Sklaven keine Fluchtversuche unternahmen. Auch heute noch schüchtern Menschenhändler Frauen mit Juju ein, wenn diese nach Europa in die Prostitution gezwungen werden. Denn sollten sie sich auflehnen, wird sie und ihre Familien großes Unglück treffen.

Hanne hat mir erzählt, dass sie bei einem Ausflug in ein benachbartes Dorf die Orientierung verloren hatte und daher die Tür zu einer der Hütten öffnete, um nach dem Weg zu fragen. Sie hat diese Tür dann aber ganz schnell wieder geschlossen, denn das Haus war voller Knochen. Erst als sie sich von dem Schreck erholt hatte, begriff sie, dass vor einem Juju-Altar gestanden hatte. So eine Szene hätte für mich echte Horrorfilm-Qualitäten. Andererseits muss man sich auch einmal bewusst machen, wie befremdlich und teilweise auch creepy es für jemanden aus einem fernen Kulturkreis sein muss, auf unseren Wochen- und Weihnachtsmärkten die Stände der Kirchengemeinden zu entdecken, mit all ihren Heiligenfiguren, Krippenspielen und Reliquien. Ganz zu schweigen von dem Ritual, den Leib und das Blut Christi zu verköstigen. Und selbst ich finde es gruselig, ein streng katholisches Dorfhaus zu betreten, wo in jedem düsteren Zimmer eine gekreuzigte, blutende Gestalt mit Dornenkrone auf einen hinabblickt.

Von all den grausamen Vorkommnissen in der Geschichte des Christentums wollen wir gar nicht anfangen. Jede organisierte Religion oder meinetwegen Spiritualität hat mit Macht und entsprechendem Missbrauch zu tun. Und mit dem ritualisiertem Einflößen von Furcht. Ich wünsche allen happy Halloween, blessed Samhain und einen buen Dia de los Muertos! Feiert lieber schön als schrecklich.

Danke für das Foto, Julia Kadel