
Fear is the mind-killer
„I must not fear. Fear is the mind-killer. Fear is the little-death that brings total obliteration. I will face my fear. I will permit it to pass over me and through me. And when it has gone past, I will turn the inner eye to see its path. Where the fear has gone, there will be nothing.“
Frank Herbert | Dune
Wie so viele freue ich mich gerade sehr auf den ersten Teil von Denis Villeneuves Dune-Verfilmung. Deshalb ist das berühmte Zitat sofort in meinem Kopf aufgegpoppt, als ich gestern Annabels letztes Video sah – zusammen mit einer verschütteten Erinnerung aus meiner Jugend.
Annabel leidet unter dem Ehlers-Danlos-Syndrom, weshalb sie viele Jahre mit permanenten Kathetern leben musste. Solche Zugänge stellen immer ein gewisses Infektionsrisiko dar und müssen daher möglichst steril gehalten werden. Für Annabel gab es deshalb lange ein absolutes Tabu: im Wasser untertauchen.
Seit ungefähr zwei Jahren geht es ihr allerdings besser, und gemeinsam mit ihrem Arzt hat sie einen Weg gefunden, der ihr in den letzten Monaten ein Leben gänzlich ohne Katheter ermöglicht. Das heißt auch, dass sie inzwischen im Meer schwimmen gehen dürfte. Oder in der Badewanne untertauchen. Ohne das Risiko einer potenziell tödlichen Infektion.
Man könnte meinen, dass man in so einem Fall sofort die nächstbeste Möglichkeit ergreift, sich in die Fluten zu stürzen. Endlich darf man, was einem so lange verwehrt war. Aber Annabel konnte nicht. Untertauchen war so lange eine lebensbedrohliche Gefahr, dass sich die Angst davor tief in ihrem Kopf verankert hatte. Diese innere Schranke, die in der Realität längst nicht mehr bestand, zu überwinden, schien nahezu unmöglich. Als sie es dann doch tat, war es Riesenschritt für sie.
Das ist schon verrückt. Aber ich kann es vollauf nachvollziehen. Als Jugendliche hatte ich mir den Oberschenkel gebrochen und war danach fast ein Jahr auf Krücken unterwegs. Gefühlte Ewigkeiten durfte ich das Bein überhaut nicht belasten. Danach lernte ich schrittweise, die Belastung zu erhöhen. Und dann kam irgendwann, nach dem finalen Röntgenbild, der Tag, an dem ich die Krücken in die Ecke hätte werfen dürfen.
Ich weiß es nicht mehr ganz genau, aber es hat noch mindestens zwei oder drei Tage gedauert, bis ich mich wirklich getraut habe, ganz normal zu gehen. Ich war so voller diffuser, idiotischer Ängste, dass ich mich einfach nicht überwinden konnte, die Krücken wegzulassen und das Bein voll zu belasten. Ich hatte Angst vor Schmerzen und davor, dass das Bein einfach wieder durchbrechen könnte, und alles würde von vorn beginnen. Am Ende haben mich meine Eltern beschimpft, und nur die Wut darüber hat mir über die Furcht hinweg geholfen.
Ich wusste, dass das Bein nicht wieder brechen würde. Ich hatte die Röntgenbilder selbst gesehen. Der Knochen war verheilt und wurde außerdem zusätzlich gestützt von einer langen Platte und zehn Schrauben. Es war idiotisch und albern, sich an die Krücken zu klammern. Aber so ist das eben mit uns Menschen (mit Tieren übrigens auch, es gibt sehr grausame Versuche zu dem Thema): Gefühle sind mächtiger als der Verstand. Und speziell Angst, die unseren Fight-flight-or-freeze-Reflex triggert, ist ein fieser Bremsklotz.
Ich wage zu behaupten, dass diese Bremse in weit mehr als 50 Prozent aller Fälle mehr schadet als nützt. Und je älter ich werde, desto höher werde ich diesen Prozentsatz ansetzen, obwohl die Lebenserfahrung gleichzeitig immer mehr Ängste in mein Bewusstsein pflanzt. „Altern ist nichts für Feiglinge“, hat meine Mutter immer gesagt. Leben ist nichts für Feiglinge, soviel steht fest.
Danke für das Foto, Blake Lisk

