zerlesene Bücher
Weise Worte

Die Apotheke der Worte

„Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.“
Philippe Djian

Zugegeben, wenn ich Kopfschmerzen habe, greife ich lieber zu Aspirin als zu einem Buch. Bücher können Medikamente nicht ersetzen, aber das hat Philippe Djian auch sicher nicht gemeint. Büchermenschen wissen um die wohltuende Wirkung des Lesens, die Nicht-Leser unverschämterweise Realitätsflucht nennen. Ich gebe gerne zu, dass Lesen eine Sucht sein kann und Prokrastination und Schlafmangel begünstigt. Aber Lesen hat auch viele Benefits, zum Beispiel die der Meditation. Es hilft beim Abschalten und somit der Stressbewältigung. Ganz zu schweigen von der Heilsamkeit innerer Bilder, wie jeder Therapeut bestätigen wird.

Andrea Gerk zitiert in ihrem Buch „Lesen als Medizin: Die wundersame Wirkung der Literatur“ sowohl Erich Kästners „Lyrische Hausapotheke“ als auch Paul Valérys Anekdote vom dem Mann, der eine OP ohne Betäubung nur dank wiederholtem Aufsagen seines Lieblingsgedichts ertrug. Und schon Aristoteles schrieb Dichtkunst und Theater eine „kathartische“ (im medizinischen Sinne reinigende) Wirkung zu.

Was die knappe Wucht von Mantras schafft, erreichen Poesie und Literatur durch ihre umfangreichere, geheimnisvolle Kombination von Worten, in einer Ordnung, die nur ganz genau so und nicht anders neue Wirklichkeiten schaffen. Ich bezeichne Bücher gerne als sehr lange Zaubersprüche. Denn jedes gelungene Buch verwandelt uns, auch auf der körperlichen Ebene. Schließlich hat die Hirnforschung bewiesen, dass sich unser Gehirn beim Lesen verändert. Also warum sollten Bücher nicht heilen können? Sie tun es! Und ein guter Buchhändler weiß genau, welches Buch ihr wann lesen solltet. Es ist eine Schande, dass diese Menschen weniger verdienen als ein Apotheker. Von den Autoren und Autorinnen ganz zu schweigen.