Devil in a Coma
Weise Worte

Devil in a Coma

„I’ve never enjoyed being fully present, a muted reality has been the landscape I preferred and mainly inhabited forever.“
Mark Lanegan | Devil in a Coma


Wie gestern angekündigt, habe ich angefangen, Devil in a Coma zu lesen und es fast an einem Stück durchgelesen. Meine Befürchtungen, dass es ungute Erinnerungen an das lange Leiden meines Vaters während des Komas und danach herauf beschwören könnte, haben sich bewahrheitet. Allein schon deshalb war es wirklich keine leichte Lektüre. Aber auch davon abgesehen ist es sehr harter Tobak. Und trotzdem poetisch. Weil Mark Lanegan nunmal ein begnadeter Poet war, bis zuletzt.

Devil in a Coma, nur oberflächlich der Erfahrungsbericht eines schweren Covid-Verlaufs, ist düster und erschreckend, aber zugleich wunderbar poetisch, genau wie Marks Musik. Und der kleine Zusatz im Titel – „a memoir“ – ist leider nur zu wahr. Ich bin deshalb sehr froh, das Buch erst jetzt, nach Marks Tod, gelesen zu haben. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass frühere Leser ihn nicht haben kommen sehen: Den Tod, der vielleicht eine Spätfolge von Covid gewesen sein mag, vielleicht eine Folge von Nierenversagen oder von all den zahlreichen Torturen, die Mark seinem Körper Zeit seines Lebens zugemutet hat. Aber man bekommt auch unweigerlich den leisen Verdacht, dass es sich um eine mehr oder weniger bewusste Überdosis von Medikamenten gehandelt haben könnte. Eine Option, die Mark im Buch mehrmals anspricht und für die er beängstigend viele (persönliche!) Argumente findet.


don't wake me, I'm sleeping
Der erste Satz des Buchs. Aus heutiger Sicht verdächtig.

Am Schluss sieht es ganz so aus, als hätte Mark den monatelangen Kampf gegen das Virus überstanden, höchstens abgesehen von dem letzten Scharmützel, das sich fast immer an einen schweren Verlauf der Krankheit anschließt. Aber bei mir hat sich im Verlauf des Buchs mehr und mehr der Eindruck verstärkt, dass Mr. Lanegan Abschied nimmt. Kann sein, dass ich das nur so empfinde, weil ich ja wusste, was kommt. Oder es liegt daran, dass der Autor nun einmal eine ständig auf Messers Schneide wandelnde Figur war, bei der man im Grunde jederzeit mit einer Überdosis (oder einem Mord, wie er selbst sagt) rechnen musste.

Der Text liest sich jedenfalls wie eine Lebensbeichte. Wie ein letztes Fazit oder ein sehr langer Abschiedsbrief. Der Versuch einer einzigen großen Entschuldigung oder wenigstens einer Erklärung an alle, denen er Unrecht getan hat oder die er tief verletzt hat. Das klassische Bereuen eines Siechendem auf dem Sterbebett. Ein Versuch reinen Tisch zu machen. Die Mischung aus Tagebuch und Gedichten wirkt auf mich wie ein ganz bewusst angefertigtes letztes Werk, dessen Notwendigkeit dem Verfasser während seines Komas und den daran anschließenden kritischen Monaten voller Halluzinationen, Schlaflosigkeit und Hilflosigkeit schmerzhaft bewusst geworden ist. Ein Testament. Mark schreibt brutal ehrlich, bedauernd, aber auch resigniert angesichts seiner Unfähigkeit, sich jemals ändern zu können, selbst wenn er genug Willenskraft dazu aufbringen könnte – was er von vornherein ausschließt.

Mark Lanegan hat immer mit seinem Image als ganz schlimmer Mensch kokettiert und das auch in seinen früheren Büchern thematisiert. Aber hier wird deutlich, dass das mitnichten Koketterie war. Er glaubte das wirklich, aus tiefster Seele. Und selbst wenn da leider auch viel Wahres dran gewesen sein mag, zerreißt es einem das Herz, wenn er schreibt, dass all die Scheiße, die er angerichtet hat, niemals auch nur annähernd aufgewogen werden könne durch das, was er den Menschen als Künstler gab. Natürlich kann ich das nicht beurteilen, aber angesichts dessen, was man allein gestern und heute zu seinem Tod im Netz lesen konnte, bin ich ziemlich sicher, dass er sich geirrt hat.

Das ist bitter. Aber dennoch bleibt für mich das Gefühl, dass Mark Lanegan mit diesem Buch einen sehr stimmigen Abschluss gefunden hat. Eine solche Gelegenheit bekommt nicht jeder, und manche bekommen sie zwar, nehmen sie aber nicht wahr, was ich persönlich am schlimmsten finde.

Darüber hinaus ist dieses Buch ein Stück Pflichtlektüre für alle, die Covid-19 immer noch verharmlosen. Damit hat Mark Lanegan ein Werk von besonderer Relevanz verfasst.

In jedem Fall eine Leseempfehlung von mir, nicht nur für Fans.