
Brief und Siegel
Gestern habe ich mich dank Twitter köstlich über die „Postkarten-Affäre“ um die Hamburger Polizei amüsiert. Die Dienststelle in der Hansestadt hatte eine lobhudelnde Postkarte veröffentlicht, die sie nach eigenen Angaben von einem gewissen Ben erhalten hatte.
Aus diversen Gründen kamen schnell Zweifel an der Echtheit der Postkarte auf, und es wurde von der Twitter-Community als peinlich empfunden, quasi Eigenlob zu posten, anstatt mit konkreten Taten zu glänzen. Im Verlauf des kleinen, aber sehr unterhaltsamen Shitstorms verstieg sich die Dienststelle in weitere Ungereimtheiten. Ich habe die Sache nicht bis zum Ende verfolgt und weiß daher nicht, ob es schlussendlich Beweise für die Authentizität der Karte gab, oder ob ein Beamter einfach nur dachte, es sei an der Zeit für ein wenig Motivation und Selbstbestätigung unter dem Deckmäntelchen externer Anerkennung.
Die Geschichte hat mich inspiriert, etwas über die im Grunde sehr wirksame Methode des Schreibens an sich selbst zu posten. Nicht umsonst gehört sie zum Standard-Repertoire in Coaching oder Psychotherapie. Die Popularität des Tagebuchschreibens, Bloggens und Journalings spricht ebenfalls Bände.
Das geschriebene Wort wiegt einfach schwerer als das gesprochene, weil man sorgfältiger durchdenkt, formuliert, sich korrigiert und schlicht mehr Zeit aufwendet.
„Der Brief ist und bleibt ein unvergleichliches Mittel, […] Eindruck zu machen; der tote Buchstabe wirkt oft stärker als das lebendige Wort.“
– Søren Kierkegaard
Kommt zum reinen Aufschreiben – womöglich sogar handschriftlich – noch das Prozedere des Verpackens, Frankierens und In-den-Kasten-Steckens, gewinnt das Ganze zusätzlich an Bedeutung. Die Redewendung, jemanden etwas mit Brief und Siegel zu geben, steht schließlich auch für Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Und die sollte man nicht ausschließlich Anderen zukommen lassen, sondern auch sich selbst. Am besten regelmäßig. Zum Beispiel einmal im Jahr. Natürlich nicht nur mit Lob über Erledigtes und Erreichtes, sondern auch mit Ideen, Versprechen und Selbst-Verpflichtungen für die Zukunft. Das kann ein schönes Self-care-Ritual sein.
Weil die Post nur für Pakete oder Online-Briefe eine verzögerte Zustellung ermöglicht, kann man einen Brief an sich selbst einer Vertrauensperson zum späteren Versenden geben, damit man ihn nicht schon am nächsten oder übernächsten Tag erhält. So ein Brief von seinem früheren Selbst ist besonders wirkungsvoll, wenn er ein wenig überrascht. Und das klappt am besten, wenn man Teile des Inhalts oder gar den Brief selbst nicht mehr auf dem Schirm hat. Je nach Inhalt und persönlicher Stress-Lage kann das in wenigen Wochen oder erst nach einem Jahr sein. Ich kenne Coaching-Anbieter, die Teilnehmer-Briefe erst nach fünf Jahren versenden. Man sollte sich auf jeden Fall überlegen, was man mit dem Brief bezweckt.

