
Anti-Mantra
Keine Ahnung, ob es den Begriff „Anti-Mantra“ überhaupt gibt, aber oft kann man etwas besonders gut veranschaulichen, wenn man das genaue Gegenteil beschreibt. Und Mantras gehören nun einmal zu meinen Haupt-Themen, deshalb möchte ich eine Passage aus dem Buch, das ich hier schon einmal erwähnt habe, zitieren. Auf Seite 38 von Mariana Lekys „Was man von hier aus sehen kann“ findet man den folgenden Absatz, der die entmutigende, lähmende Wirkung eines sehr simplen, noch nicht einmal laut ausgesprochenen Satzes beschreibt:
Es war still im Optiker bis auf einen Satz. Es war ein Satz, der sich in seinem Inneren ausbreitete wie vergossene Farbe, ein Satz der mit so viel Kraft so viel Kraftlosigkeit verbreitete, dass dem Optiker war, als schwänden all seine Muskeln im Leib, als würden sämtliche Haare auf seinem Kopf, die noch nicht grau waren, das jetzt unverzüglich nachholen, als müssten die Blätter an den Bäumen, die um Selma und ihn herumstanden, unverzüglich welken und die Bäume selbst einknicken vor lauter Müdigkeit wegen des Satzes, der sich im Optiker ausbreitete, als müssten die Vögel aus dem Himmel fallen, weil der Satz eine plötzliche Flügellähmung auslöste, als müssten den Kühen auf der Weide die Beine schwach werden, und als würde der Hund, der neben Selma stand […], einfach durch die drei Worte im Optiker unverzüglich eingeschläfert werden, alles welkt, dachte der Optiker, alles verschrumpelt und fällt um und herunter und knickt ein durch den Satz: „Lieber doch nicht.“
Ohne den Kontext der Geschichte liest sich das vielleicht ein wenig überzogen. Aber es gibt sie, diese wenigen Worte, die Lähmung, Mutlosigkeit und Düsternis herbeizitieren, wahlweise auch nackte Angst, tiefste Trauer und aschgraue Bitterkeit. Es sind oft kurze, scheinbar unscheinbare Sätze, die wir uns selbst in bestimmten Situationen immer wieder wie automatisch vorsagen, oft unbewusst. Sie haben eine verheerende Wirkung.
Lieber doch nicht, diesen Ausdruck des Selbstzweifels und der Verzagtheit, kenne auch ich sehr gut, und es ist noch gar nicht so lange her, dass ich ihn zu mir selbst gesagt habe. Die Konsequenz waren zwei Wochen voll des Selbsthasses und der schlechten Laune. Kurz darauf las ich obigen Absatz in Mariana Lekys Buch, und ich habe mir geschworen, „Lieber doch nicht“ aus meinem Repertoire zu streichen. (Erste Folgen manifestieren sich bereits morgen früh, auf Twitter habe ich es schon verraten…)
Noch besser als das Streichen solcher destruktiven Anti-Mantras ist es natürlich, sie durch konstruktive Mantras zu ersetzen. Grundsätzlich gilt es, Negativ-Aussagen mit „nein“, „kein“, „nicht“, der Vorsilbe „un-“ etc. zu vermeiden. Die Macht der Worte ist nicht zu unterschätzen, und so drastisch Mariana Leky den Effekt der destruktiven inneren Stimme des Optikers schildert, so kraftvoll können sich antrainierte positive Aussagen auswirken.
Danke für das Foto, Fabien Barral

