
Die Wiege der Riesen im Galgenvenn
Im Grenzwald bei Kaldenkirchen findet man ein Arboretum, das ich ohne Zögern zu den schönsten und interessantesten zählen würde, die ich je gesehen habe. Auf der Sequoiafarm werden Mammutbäume (Sequoien) gehegt und gepflegt, und das allein macht den Ort sehenswert. Aber es gibt dort auch noch viele andere, teilweise seltene Pflanzenarten, die ich mir nicht alle notiert habe. Die Mischung verschiedenster Gewächse, von denen man viele noch nie zu Gesicht bekommen hat, verleiht der fast vier Hektar großen Anlage einen Hauch von Phantasiewelt, was durch die verschlungene Wegführung auf Trampelpfaden noch verstärkt wird.
Leider ist das Arboretum nur sonntags und an Feiertagen geöffnet, weshalb es bei halbwegs gutem Wetter für meinen Geschmack unerträglich voll ist. Das bedeutet auch, dass man schlecht fotografieren kann, wobei es zumindest mir als Laien ohnehin schwer fällt, die Dimensionen der Baumriesen und die Diversität der Vegetation angemessen einzufangen. Einige der Küstenmammutbäume sind 37 Meter hoch, und die Berg- und Urweltmammutbäume überragen das übrige Gehölz ebenfalls deutlich, aber im Grunde sind sie alle noch Kinder. Einer ist ein Sämling des momentan größten Baums der Erde. Der steht in Kalifornien und hat einen Durchmesser von mehr als elf Metern. Auf einer Lichtung hat man die Umrisse dieses Riesen mit Steinen nachgelegt, und das gibt zumindest eine Idee von dessen Imposanz.
Auch der Blick nach oben in die Wipfel, den man während des Spaziergangs über das Gelände unweigerlich mehrfach wiederholt, überkommt einen eine gewisse Demut, weil man sich sehr klein fühlt. Ich glaube, dieses Gefühl braucht man manchmal einfach. Und dann stolpert man am Ende des Rundgangs fast über eine am Boden liegende Harke, die eine mehrere Jahrzehnte alte Ameisenstraße schützt. Dass diese Winzlinge ihre Infrastruktur so nachhaltig anlegen, war mir nicht bewusst. Es hat mich an etwas erinnert, das ich erst kürzlich gelernt habe: Regenwürmer haben neben ihren zahlreichen Gängen feste „Wohnungen“ unter der Erde. Deshalb soll man Gärten nicht umgraben, denn das ist für die armen Tiere ähnlich dramatisch wie eine zerstörerische Naturkatastrophe für uns Menschen.
Die Bedeutung von „Größe“ relativiert sich schnell, wenn man die Sequioafarm besucht. Aber das Erlebnis könnte noch wesentlich eindrucksvoller sein, wenn die Atmosphäre ruhiger wäre. Gerade durch die schmalen Pfade ist das Besucheraufkommen schnell störend, und für mich passt der Andrang überhaupt nicht zu diesem Ort, obwohl das große Interesse natürlich sehr zu begrüßen ist. Ich überlege ernsthaft, eine Führung ganz für mich allein zu buchen, einfach um mir alles noch einmal in Ruhe ansehen zu können. Aber am liebsten würde ich mitten zwischen den Bäumen wohnen, so wie der Mann, der die Führungen durchführt. Das muss wirklich paradiesisch sein.

