
Wie alt ist dein Visionboard?
Vor ein paar Wochen habe ich bei einem Festplattencrash einen Haufen Fotos verloren. Ich habe sie nie gesichert, weil ich sie nicht besonders wertvoll fand. Ich bin ja ohnehin kein Bildermensch und abgesehen von immer seltener werdenden Posts auf Instagram habe ich meine Fotos nie verwendet. Aber wie das immer so ist, habe ich vor ein paar Tagen Bilder von der Sommerstadt in Nyborg für meine Mutter gesucht. Ein bisschen was habe ich von meinem IG-Feed herunterladen können, aber das eignet sich natürlich nicht zum Ausdrucken. Die erforderlichen Rohdaten sind alle weg.
Abgesehen von der Lehre, eben doch immer alle Fotos aufzubewahren, habe ich dabei noch etwas anderes entdeckt. Nämlich, dass ich ein Häuschen in der Sommerbyen schon vor drei Jahren ganz zentral auf meinem imaginären Visionboard platziert habe. Ich dachte eigentlich, dass wäre im letzten Sommer gewesen, aber in Wirklichkeit war es schon im Juli 2017.
Damals war ich zum ersten Mal nach sehr vielen Jahren überhaupt wieder in Nyborg, und auch nur für ein paar Tage. Ich übernachtete im Hotel, aber meine Familie wohnte wie schon in den Jahren davor in der Sommerstadt. Bis dahin hatte ich noch nie eines der Häuschen dort von innen gesehen.
Ich erinnere mich, dass ein Kindheitstraum mit großer Wucht wiedererwachte, als ich das Sommerhaus meiner Familie betrat. Es brach aus den Untiefen meines Bewusstseins hervor wie ein Schwertwal aus dem Eismeer. Ich hatte völlig vergessen, wie sehr ich mir schon als Fünfjährige gewünscht hatte, einmal in der Sommerstadt zu wohnen, die ich regelmäßig auf dem Weg zum Strand durchquerte. Die kleinen Holzhäuser übten eine magische Anziehung auf mich aus. Nicht nur, weil sie näher am Strand waren als unsere damalige Unterkunft, sondern weil sie ein besonderes Flair hatten, das ich nicht beschreiben kann.
Im darauf folgenden Jahr habe ich immerhin schon im Garten eines Sommerhauses gezeltet. Und letzten Sommer habe ich endlich in einem gewohnt. Der Traum, das zu einem Dauerzustand zu machen, ist seitdem nie wieder untergegangen, auch nicht in den langen Monaten fern des Storebelt. Insgeheim habe ich scheinbar mit einem Verblassen gerechnet. Weil ich meinen Träumen nicht traute. Deshalb war ich so überrascht, dass mein Visionboard in den letzten Jahren keine gravierenden Veränderungen durchgemacht hat. Jetzt fällt mir sogar wieder ein, dass ich nach jenen paar Tagen in Nyborg vor drei Jahren eine kleine, versiegelte Box mit Strandfunden im Ernstbrunner Wald vergraben habe.
Die meiste Zeit meines Lebens, eigentlich seit meinem Unfall mit 15, war ich wie eine menschliche Flipperkugel, hektisch und ziellos herumgeschossen von einem Flipperanfänger (mir), der einfach nur alles tat, damit die Kugel nicht vorzeitig in der Versenkung versank.
Die Erkenntnis, dass ich in den letzten Jahren ohne mir dessen bewusst zu sein, viel gefestigter geworden bin, ist ein Segen für mich. Ich überlege, die Descansos-Papiere zu erweitern, damit man an jedem Wegkreuz nicht nur verlorene Träume vermerken kann, sondern ganz explizit auch jene, die die Dramen überdauerten oder wiedergeboren wurden.
Danke für die beiden Bilder vom Strand in Nyborg, Grzegorz Rakowski

