
Wasserstand, unmetaphorisch
Im Vergleich mit der Nordsee hat die Ostsee mit den Gezeiten wenig am Hut. Die Strände sind je nach Tageszeit ein wenig breiter oder schmaler, und das war’s. Nur bei Vollmond und sehr starkem Wind sind die Wasserstände manchmal so auffällig, dass einzelne Spazierwege unpassierbar werden und die Skipper berechtigte Sorge um ihre „geparkten“ Boote haben. Seit ich hier bin, ist das vielleicht zwei- oder dreimal vorgekommen. Einen Meter über der Norm muss das Wasser dafür ansteigen. Für mich hört sich das wenig an, aber es hat sichtbare Auswirkungen.
Als Nicht-Skipper vergisst man die Wellen, und deren potenzielle Höhe und Kraft, die mit jedem Zentimeter mehr Platz über dem Grund exponentiell ansteigt, und das ist das eigentliche Problem. Nun hat der Dänische Wetterdienst fürs nächste Wochenende bereits heute eine orangefarbene Warnung heraus gegeben. Speziell für die westliche Ostsee und den südlichen Kleinen Belt. Konkret sind das der Süden Langelands, Ærø und die Küsten Südfünens. Orkan und deutlich erhöhte Wasserstände sind zu erwarten. „Beachten Sie die Anweisungen der Behörden.“ Es gibt Parallelen zum Ostseesturmhochwasser von 1872, ein Jahrtausendereignis, bei dem zunächst starker Südwestwind das Wasser in den Norden drückte (das passiert im Moment) und dann bei einem plötzlichen Wechsel auf orkanartigen Nordostwind (angekündigt für Donnerstag und Freitag) enorme Wassermassen zurückfließen ließ.
Das könnte mein erstes Erlebnis mit echtem Hochwasser hier werden. Vielleicht bekomme ich dabei eine Ahnung davon, wie sich der prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels um gut einen Meter in nicht allzu ferner Zukunft in meinem zwischen zwei Küsten gepflanzten Häuschen anfühlen wird. Ehrlich gesagt macht es mich ein bisschen nervös, dass eine orange Warnung so früh heraus gegeben wird. Das ist definitiv nicht normal. Aber es zeigt auch, dass ich immer noch eine Landratte bin, vollkommen ahnungslos, was die Auswirkungen von Extremwetter an der Küste bedeuten. Anfangs hatte ich eine vage Vorstellung, dass ich nach einem kompletten Jahr hier einigermaßen Bescheid weiß. Aber am besten fragt man immer noch die, die hier geboren, aufgewachsen und geblieben sind.

