Wachsflecken – ein Echtheitszertifikat
Ein Kerzenleuchter steht auf einem Fenstersims im Schloss Ernstbrunn, darunter reichlich Wachsflecken. Beim alljährlichen Kammermusikfestival „Con Anima“ finden einige der Konzerte in Räumlichkeiten statt, in denen es kein elektrisches Licht gibt. Es werden Kerzen angezündet. Echte Kerzen. Sicher nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch, weil es der Atmosphäre dient. Fürst Reuss entzündet die zahlreichen Leuchter eigenhändig, beinahe zeremoniell. Moderne Kerzen ohne echte Flamme mögen sicherer sein und keine Wachsflecken geben, aber Licht aus einer Batterie zu Kammermusik auf traditionellen Instrumenten, die großteils ohne Strom und Kunststoff auskommen? Bitte nicht.
Wie das Bild zeigt, ist man auch nicht verzweifelt bemüht, die Wachstropfen des Vorabends zu entfernen, damit am nächsten Tag alles makellos erscheint. Die Flecken sind der Beweis für die Echtheit der Kerzen und dafür, dass sie nicht nur zur Zierde dort stehen, sondern tatsächlich brennen dürfen. Die Wachstropfen passen genau wie das Licht der Kerzen zum Ambiente der Veranstaltung. Und genau diese Authentizität ist es, durch die „Con Anima“ („mit Seele“) seinem Namen gerecht wird.
Die roten Papiertapeten des Rittersaals, Überbleibsel der Besatzung durch die Rote Armee, hängen stellenweise in Fetzen von der Wand. Mauern und Stiegen bröckeln in manchen Bereichen des Schlosses. Man spürt die Geschichte in dem ungewöhnlichen Bau, genau wie das Leben, das dort täglich stattfindet. Der Ort ist ein Original, einzigartig. So wie jeder einzelne Musiker, der dort in intimem Rahmen auftritt.
Das Publikum ist ebenso bunt gemischt wie die Künstler, die bei ihren Auftritten gerne improvisieren und damit zusätzlich für ein einzigartiges Erlebnis sorgen. Beim Cembalo in der Bibliothek verhaken sich ab und zu die Tasten. Aber niemand erleidet deswegen einen Hörsturz.
Makellosigkeit interessiert hier und heute niemanden wirklich. Wahrscheinlich sogar im Gegenteil. Echtheit, dieses rare Gut, ist es, was man bei Con Anima sucht und findet. Denn das ist es, was „die Seele“ ausmacht, in einer Zeit zunehmender Künstlichkeit und scheinbarer Perfektion. Und manchmal sind es eben gerade die Flecken, die etwas besonders wertvoll machen.