
Von Kojoten lernen
In der Naturpädagogik und den meisten Wildnisschulen ist das sogenannte Coyote-Teaching eine beliebte Methode, und für mich ist Jon Youngs „Coyote’s Guide to Connecting with Nature“ eine Bibel, gleichauf mit Clarissa Pinkola Estés‘ „Women Who Run With the Wolves“. Coyote-Teaching bedient sich ebenso des Storytellings, ist aber viel praxis- und erlebnisorientierter als das vornehmlich für Frauen geschriebene „Women Who Run With the Wolves“. Und auch wenn beide Bücher auf den ersten Blick nach unterschiedlichen Zielsetzungen und Zielgruppen aussehen, so haben sie doch dasselbe Ziel: Sie fördern ein gesundes und stabiles Seelenleben.
Es fällt auf, dass sowohl Jon Young als auch Clarissa Pinkola Estés Caniden (Hundeartige) als Vermittler ihrer Botschaften ausgewählt haben. Sie ähneln uns Menschen, vor allem im Sozialverhalten. Schließlich haben wir nicht umsonst den Hund lange vor allen anderen domestizierten Tieren als unseren Partner erschaffen. Der Kojote hat in Amerika, der Heimat Jon Youngs, einen ähnlichen Stellenwelt wie bei uns der Fuchs, nicht nur mythologisch betrachtet. Er ist gewitzt, schlau, und ihm sitzt der Schalk im Nacken. Und er ist ein zurückhaltendes Tier, das bevorzugt im Verborgenen agiert. Nur sein Heulen, die Kommunikation mit Artgenossen, kann man über Meilen hinweg hören.
Kojoten lernen spielerisch, durch Beobachten und Ausprobieren. Sie sammeln Erfahrungen, indem sie ihrer Neugier nachgehen und ihre Instinkte schulen. Die erfahreneren Tiere fungieren dabei als Mentoren, die Hinweise geben, anregende Vorschläge machen und bei Gefahr eingreifen, anstatt wie ein neuzeitlicher Lehrer mit absoluten Antworten zu arbeiten. Auf diese Art haben auch wir Menschen früher gelernt.
Coyote Teaching setzt auf die Förderung eines gesunden Selbstvertrauens, denn wer Angst hat, unsicher oder gestresst ist und sich unter Druck gesetzt fühlt, lernt schlecht. Das gilt für Menschen und Tiere gleichermaßen. Am Wolf Science Center habe ich etlichen Schulklassen gepredigt, dass die Wölfe dort bereits vor dem Öffnen ihrer Augen, also spätestens im Alter von zehn Tagen, mit Menschen sozialisiert werden, um der natürlichen Scheu ihrer Spezies ein Schnippchen zu schlagen. Andernfalls hätte man niemals wissenschaftlich aussagekräftige Ergebnisse bei den Studien zu ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit erhalten. Das hat meistens zu spitzen Kommentaren in Richtung begleitenden Lehrer geführt, die auch nur hilflos mit den Schultern zucken konnten.
Man kann unser Schulsystem und seine Bildungsstandards nicht auf die Methode der Kojoten umstellen. Aber man kann Kindern und Erwachsenen mit Coyote Teaching in der Natur einen regelrechten Reboot anbieten, der neues Selbstvertrauen, innere Ruhe und wertvolles Wissen um die eigenen Fähigkeiten gibt. In Kombination mit dem damit verbundenen Digital Detox wirkt das Wunder.
Danke für das Foto, Joshua Wilking

