
Unterschätzte Langohren
Das Image der Esel ist wirklich himmelschreiend ungerecht. Wenn man sich gängige Redensarten oder berühmte Zitate vermeintlich schlauer Menschen ansieht, dann kommen die Langohren zu 99,9 Prozent schlecht weg. Sie gelten als dumm und stur. Doch in Wirklichkeit sind Esel hochintelligente Tiere. Es kann natürlich sein, dass man genau das manchmal als Sturheit missversteht. Denn wer nicht nur schlau sondern auch so stark, mutig und laut ist, wie es Esel nun einmal sind, kann in der Tat schonmal störrisch erscheinen.
Dabei sind es all diese Eigenschaften – die Intelligenz, der Mut, die Körperkraft und die wache Aufmerksamkeit gepaart mit einem durchdringenden Organ -, die die Huftiere absolut bewundernswert machen. Sie qualifizieren speziell die größeren Exemplare ihrer Art für eine ganz besondere Aufgabe, die man in Deutschland immer noch nicht so recht auf dem Schirm hat. Esel sind nämlich hervorragende Herdenschutztiere.
In Namibia schützen Esel Nutztierherden sogar vor Löwen und Hyänen. In der Schweiz, in Teilen der USA und in vielen osteuropäischen Ländern werden Herdenschutzesel eingesetzt, um Wölfe, Bären, Luchse, Kojoten und Füchse fern zu halten. Und das, obwohl sie durchaus selbst auf der Speisekarte größerer Beutegreifer stehen. Aber wie gesagt: Esel sind sehr mutig, stark und überraschend aggressiv, wenn sie Gefahr wittern. Deshalb überlegen es sich potenzielle Angreifer lieber zweimal, ob sie wirklich eine Konfrontation wagen wollen oder vielleicht doch lieber nach leichterer Beute Ausschau halten wollen, um auch später noch ohne Handicap jagen zu können. Mal ganz davon abgesehen, dass das laute Geschrei eines Esels jeden in Alarmbereitschaft versetzt, Tiere ebenso wie in der Nähe schlafende, bewaffnete Menschen.
Im Vergleich zu den viel bekannteren Herdenschutzhunden sind Herdenschutzesel um ein Vielfaches günstiger. Ihre Vorbereitung auf den Job ist weniger aufwändig, denn ihre Intelligenz macht sie leicht trainierbar, und sie fügen sich problemlos in eine Herde Schafe oder Rinder ein. Da sie selbst Weidetiere sind, versorgen sie sich während der Arbeit größtenteils selbst. Und sie können im Gegensatz zu Herdenschutzhunden auch in unmittelbarer Nachbarschaft von Naturschutz- oder Naherholungsgebieten tätig werden, da sie Flora und Faune weniger stören und Menschen gegenüber nicht so leicht zur Gefahr werden.
Natürlich ist ein Herdenschutzesel einem Herdenschutzhund nicht in allem ebenbürtig oder gar überlegen. Wenn es hart auf hart kommt, zum Beispiel wenn sich ein souveränes Wolfsrudel längst auf leicht zu erjagende Schafe spezialisiert hat, haben Esel kaum eine Chance. Außerdem können sie nicht so große Herden überblicken wie speziell ausgebildete Hunde. Und sie sind wetterempfindlicher. Esel brauchen einen trockenen Unterstand und haben eher Probleme mit niedrigen Temperaturen oder nassen Böden als beispielsweise ein Pyrenäenberghund.
Trotzdem gibt es gerade auch in Deutschland eine Menge potenzieller Einsatzgebiete für Herdenschutzesel. Doch die deutschen Richtlinien zur Wolfsprävention berücksichtigen sie immer noch nicht, was bedeutet, dass ihre Anschaffung auch nicht subventioniert wird. Nach all den Jahren, in denen Wölfe, Luchse und Bären wieder präsent sind, eigentlich ein Witz. Statt „Dummer Esel!“ würde ich da doch eher „Dummer Mensch!“ sagen.
Danke für das Foto, Florian Weichert

