
Und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr weh tut
In Dörte Hansens „Zur See“ ist sehr unterhaltsam beschrieben, warum Menschen auf eine Insel ziehen. Unter anderem scheint es nicht selten um die Linderung vielfältiger Arten von Schmerz zu gehen. Liebeskummer, Trauer, Arschtritte des Universums und so weiter. Obwohl ich nur auf dieser Insel gelandet bin, weil ich auf dem Festland kein passendes Dach über dem Kopf gefunden habe, kann ich diese Beobachtung durchaus bestätigen. Inseln als Rückzugsorte, an denen man in Ruhe seine Wunden lecken kann, haben eine lange Geschichte.
Es gibt hier neuerdings T-Shirts, auf denen steht „Jeg har ikke brug for terapi, jeg skal til Ærø“ („Ich brauche keine Therapie, ich gehe nach Ærø“). Dieser Satz ist zwar inhaltlich kritisch zu betrachten, aber vermutlich haben alle touristisch genutzten Inseln dieser Welt ähnlich bedruckte, küchenpsychologische Merchandising-Artikel. Und ebenso wie die Wirkung von Ecotherapie nicht geleugnet werden kann, haben Inseln zweifellos heilsame Aspekte. Der Wind, der pustet wie eine tröstende Mutter bei einem aufgeschürften Knie des heulenden Sprösslings, ist nur einer davon.
Vor ein paar Tagen hatte ich Besuch von meiner dänischen Tante Hanne, die bereits die ganze Welt gesehen hat. Natürlich kennt sie auch ihr Heimatland sehr gut. Sie war auf fast jeder noch so kleinen Insel Dänemarks und kennt die eine oder andere Hintergrundinformation zu den einzelnen Eilanden. Unter anderem erzählte sie mir, dass die legendären Leuchtturmwärter-Jobs, die immer mal wieder in den sozialen Medien aufpoppen und dann zu massenhaften Spontan-Bewerbungen führen, oft gewisse Zusatz-Tätigkeiten beinhalten, für die Geheimhaltungsklauseln zu unterschreiben sind.
Auch der Leuchtturmwärter der kleinen Insel, die ich als Kind immer mit meinem Schlauchboot ansteuern wollte, wenn wir in Nyborg waren, war nicht einfach nur Leuchtturmwärter. Um Sprogø ranken sich ohnehin reichlich Mythen, die von dem bis heute andauernden Betretungsverbot stetig befeuert werden. Was laut Hanne wirklich dahinter steckt, hätte ich nie vermutet, aber ich traue mich nicht, es hier nieder zu schreiben, weil ich keine Lust auf eine staatliche Abmahnung habe. Mit dem ehemaligen „Gefängnis für freizügige Frauen“ hat es jedenfalls nichts zu tun. Doch wegen dieser „Anstalt“ kann man mit Sicherheit sagen, dass auf Sprogø der Wind vergeblich gepustet hat. Empfehlenswerte Lektüre dazu gibt es von Bestseller-Autor Jussi Adler-Olsen („Verachtung“), oder für diejenigen, die des Dänischen mächtig sind, von Vibeke Marx („Skygger fra Sprogø“ | Die Schatten von Sprogø).

