Trödel
Grimoire

Thrifting

Gestern war ich in einem skurrilen Trödelladen. Er befindet sich fast am anderen Ende der Insel und hat laut eines selbst gemalten Schildes in einem der Fenster lediglich samstags nachmittags für ein paar Stunden offen. Ich war etwas unsicher, ob es sich bei dem Geschäft nicht nur um ein Relikt aus Pre-Corona-Zeiten handelt. Im Internet kann man den Laden zwar finden, aber es gibt weder Öffnungszeiten noch Telefonnummer, Webseite oder Facebook-Page, bloß einen rudimentären Eintrag in Google-Maps. Aber ich suchte einen besonderen kleinen Bilderrahmen für das Foto meines ersten Hundes und war bisher auf keinem der vielen Loppemärkte fündig geworden. Dieser Laden war meine letzte Hoffnung, und so machte ich mich auf den Weg dorthin.

Von der Straße aus kann man einen ziemlich großen Außenbereich mit zerfallenden Fensterrahmen, rostigen Brandöfen und allerhand Gerümpel sehen, aber auch Perlen wie eine tolle, alte Kutsche. Ich erwartete einen eher kleinen Laden, falls es überhaupt einen Innenraum geben sollte. Als ich durch die Tür ging, die ich für den Eingang hielt, folgte erst noch eine zweite Tür, hinter der Musik ertönte, weshalb ich fast damit rechnete, plötzlich in jemandes Wohnzimmer zu stehen. Ich öffnete sie trotzdem und stand vor einem unfassbaren Chaos. Meine Augen und mein Gehirn konnten die Massen an Zeug zunächst nicht verarbeiten. Es gab einen sehr schmalen Gang, der mitten in das Chaos hineinführte. Nach einer Weile erkannte ich, dass es insgesamt drei große Räume waren, einer davon riesig. Sie waren bis auf eben jenen schmalen Gang mindestens bis Hüfthöhe zugestapelt mit diversem Ramsch, klassischem Trödel und unglaublichen Schätzen.

Ein älterer Herr im Blaumann und mit schlohweißem Haar erschien und ermahnte mich sogleich, gaaanz vorsichtig zu sein, da rutschte hinter mir schon etwas zu Boden – zum Glück nichts Zerbrechliches. Der Mann sprach Deutsch, und nach ein wenig unwilligem Gegrummel wurde er richtig redselig. Er erzählte Geschichten aus den 70er Jahren, als er noch mit Kim Larsen Musik machte und im Winter einen Skilift auf Fyns höchstem Hügel (130 Meter hoch) betrieb. Selbst damals gab es auf Fyn selten Schnee, der mehr als ein paar Tage liegen blieb, aber der entscheidende Part war wohl auch der Ausschank, der zum Lift gehörte. Ich erfuhr außerdem, dass ich in Dänemarks zweitältesten noch bestehenden Gasthaus stand, und dass die Öffnungszeiten bis 22 Uhr verlängert würden, wenn ich mindestens ein Bier tränke (es war 15 Uhr). Die Theke hätte ich zunächst nicht als solche erkannt, aber sie war tatsächlich da, verziert mit unzähligen alten Fotos, die die Geschichten des Gastgebers untermauerten. Hinter dieser Theke verbarg sich ein beachtliches Schnaps-Sortiment.

Ich entdeckte recht schnell, was ich suchte, und dazu noch ein paar andere Kleinigkeiten, deren Preise mich allerdings nach Luft schnappen ließen. Als ich versuchte zu handeln, wurde ich sehr ungehalten darüber informiert, nicht bei IKEA zu sein. Ich schätze, dass die Preise variieren, je nachdem ob man ein Bier, einen Schnaps, mehrere Schnäpse oder gar nichts trinkt. Mir wurde jedenfalls ans Herz gelegt, mindestens zwei Schnäpse trinken, weil mir entgegen kommende Autofahrer ebenfalls mindestens zwei Schnäpse intus hätten, es sei ja Samstag, und schließlich müsse die Sache „ausgeglichen“ sein.

Wenn man gerne in Trödel wühlt und trinkfest ist, ist dieser Laden ein Paradies, in dem man sicher Stunden verbringen und nach Schätzen graben kann. Aber auch so ist er sehenswert. Ich habe den Besuch jedenfalls nicht bereut, obwohl ich garantiert über den Tisch gezogen wurde. Der Erlebniswert hat es wieder wettgemacht. Ich musste an den Hafenmeister von Søby denken, auch so ein Original, und ich wette, es gibt von der Sorte noch mehr auf dieser Insel.