Grimoire

Storytelling

Storytelling, das Erzählen von Geschichten, ist so alt wie die Menschheit. Worte haben magische Kräfte, und so vermag uns eine gut erzählte Geschichte in ferne Zeiten und Länder versetzen, oder gar in ein völlig fiktives Universum. Sie hat meditative Qualitäten, denn selbst der rastloseste Geist schaltet ab und lässt für eine Weile von sämtlichen drängenden Problemen. Wenn man in ein gutes Buch vertieft ist, kann das ein tranceähnlicher Zustand sein: Man vergisst die Zeit und hört nicht mehr, was um einen herum geschieht.

Egal ob mündlich, visuell oder schriftlich erzählt, kaum etwas vermittelt Informationen nachhaltiger und Wissen zwangloser als Storytelling. Man erreicht das Unterbewusstsein. Deshalb wird es als Methode auch in Bildung, Therapie und Marketing eingesetzt.

Was ich immer wieder spannend finde, ist die Tatsache, dass zwar keineswegs jede Geschichte für jeden interessant geschweige denn fesselnd ist, aber sowohl das Grundmuster als auch die Motive und Archetypen bleiben stets dieselben. Seit Jahrtausenden. Everything is a remix, das zeigt sich auch hier. Ich erinnere mich an zwei Bücher von Elisabeth Frenzel, die während meines Germanistikstudiums essentiell waren: Stoffe der Weltliteratur und Motive der Weltliteratur. Beides keine dicken Wälzer. Es ist faszinierend, dass antike Mythen, Klassiker und uralte Legenden problemlos immer wieder neu erzählt werden können und dabei nicht langweilig werden. Sprache verändert sich, Medien verändern sich, unsere Umwelt verändert sich, und ebenso die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums. Aber grundsätzlich bewegt die Menschen von heute immer noch dasselbe wie viele Generationen zuvor.

Deshalb schaffen es mittlerweile auch künstliche Intelligenzen, Geschichten zu erzählen. Und sie werden immer besser. Gehandicapt sind sie, wenn es um mündliches Erzählen vor Publikum geht, denn dabei spielen auch Mimik und Gestik eine nicht unerhebliche Rolle. Hier stecken selbst modernste humanoide Roboter noch etwas zu tief im Uncanny Valley. Der menschliche Faktor ist in einigen Bereichen der Kunst eben doch noch entscheidend. Aber trotzdem hat Technologie schon heute die Fähigkeit, im wahrsten Sinne des Wortes zu verzaubern. Magie ist keineswegs zwingend menschlich.