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Schweiß, Tränen oder das Meer

„Salzwasser heilt alles – Schweiß, Tränen oder das Meer.“
Tania Blixen

Dieser vielzitierte Satz der dänischen Schriftstellerin Karen Christence von Blixen-Finecke (auch bekannt als Isak Dinesen oder umstrittene Heldin in „Jenseits von Afrika“) ist im medizinischen Sinne natürlich nicht ganz richtig. Aber ein Funken Wahrheit – und viel Weisheit – steckt schon darin.

Die gesundheitlichen Vorteile von Sport oder körperlicher Arbeit, aufrichtiger Verarbeitung psychischer Belastung, Sole, Meeresrauschen oder dem simplen Blick aufs weite Wasser sind leicht zu ergoogeln, und jeder Arzt kann sie bestätigen. Nicht umsonst zieht es die Menschen im Urlaub meist ans Meer. Mich auch. Ich zähle momentan die Tage, so dringend brauche ich die heilsame Wirkung der Ostsee. Ich hake jeden Tag im Kalender ab wie eine To-Do-Liste, mit rotem Stift und einem sehr befriedigendem Gefühl.

Nachdem es mich viele Jahre in südliche Gefilde mit Sonnenschein-Garantie zog, habe ich letztes Jahr meine Liebe für den wenig populären Urlaubsort meiner Kindheit wieder entdeckt. Natürlich hat das viel mit Nostalgie zu tun, aber auch mit veränderten Bedürfnissen. Der Wunsch nach Salzwasser ist konstant geblieben, aber ansonsten mag ich es jetzt lieber kühler, grüner und weniger laut. Es geht nicht um „hygge“, und der minimalistische Einrichtungsstil der Skandinavier ist eigentlich nicht mein Geschmack. Aber die charmanten kleinen Sommerhäuser der Dänen üben einen besonderen Reiz auf mich aus, der mich nicht mehr los lässt. Sie sind perfekte Rückzugsorte, aber immer offen für Besuch. Ich glaube, das macht den Unterschied zu einer abgelegenen Hütte in den Bergen aus – am Meer ist es einfach „offener“ als in gebirgiger Wildnis. Meistens.

Im letzten Jahr kam ich gleich bei meinem ersten Strandspaziergang an einem Haus vorbei, das noch genau so aussah, wie ich es aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. Ich wollte schon als kleines Mädchen in diesem Haus leben, aber das hatte ich völlig vergessen. Bis ich es wieder sah. Das Bild hat sich in mein Hirn gebrannt, und ich sehe es täglich vor mir. Eigentlich war ein fester Wohnsitz kein Thema mehr für mich, aber das hat sich geändert. Ich sehe mich als alte Oma in diesem Häuschen sitzen, mit Blick auf den Strand und den Großen Belt, obwohl es unrealistisch ist, dass der steigende Meeresspiegel es lange genug verschont. Mein Herz ist längst dort eingezogen und lässt sich vom Salzwasser kitten und kurieren, bis ich nachkommen kann.

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