Grimoire

Präsenz

Obwohl es nachts noch knackig kalt ist, lässt der Frühling endlich so richtig die Muckis spielen, und im Garten meines Vaters explodiert das Leben. Alles blüht und sprießt und duftet, und die Luft schwirrt von Vögeln und Insekten.

Mein Vater ist 50 Kilometer entfernt, an sein Krankenbett und zig Apparate gefesselt, und wegen der Coronakrise darf ich ihn nun schon seit zwei Wochen nicht mehr besuchen. Doch heute, in seinem Garten, spüre ich seine Anwesenheit ganz deutlich. Ich kann ihn fast sehen, hier, in seinem Element, taub für alles andere, abgesehen vielleicht von den Vögeln, mit denen er auf besondere Weise zu kommunizieren schien. Er ist in jeder Pflanze, in jedem Stein, in jeder ulkigen kleinen Figur, die er im Laufe der Jahre unter den Büschen und Stämmchen versteckt hat.

Ich weiß, das klingt albern, „überkandidelt“, würde er selbst sagen, aber es ist wahr. Er ist da, und alles, was hier wächst und gedeiht, ist nur wegen ihm hier, und es ist, als würden die Pflanzen genau das laut und klar herausposaunen, mit all der Kraft und Lebensenergie, die man ihnen jetzt so deutlich ansieht, in ihrer Sprache, die so anders ist als unsere, aber trotzdem unmissverständlich. Sie feiern ihn, und ich fühle mich bei dieser Party seltsam ausgeschlossen, und es bricht mir das Herz.