Grimoire

Prägung

Mit einiger Verspätung lese ich gerade den fünften Teil der Millennium-Reihe. Hatte ich schon erwähnt, dass David Lagercrantz meiner Meinung nach einen sehr guten Job bei der Fortführung von Stieg Larssons Werk macht? Man merkt den Unterschied, aber es funktioniert dennoch.

Bei der Lektüre von „Verfolgung“ geht es unter Anderem um ein Thema, über das ich in den letzten Monaten häufiger mit meiner Mutter diskutiert habe: Inwieweit wir von unserem Erbgut und von unserem Umfeld geprägt werden. Was wiegt schwerer? Gene? Erziehung, soziale Strukturen, Umwelt, Kultur? Es ist interessant, was die Zwillingsforschung da schon an Erkenntnissen gebracht hat, aber immer noch wird viel gestritten, analysiert und (fehl)interpretiert. Im Großen und Ganzen ist man sich wohl heute einig, dass Erbanlagen und Umfeld ungefähr 50/50 für das verantwortlich sind, was aus uns wird.

Mir hat eine Passage in Verfolgung gut gefallen, in der die These einer der Protagonistinnen zitiert wird. Sie ist der Meinung, dass oft ganz individuelle, sehr persönliche, mehr oder weniger zufällige Dinge ganz erheblichen, entscheidenden Einfluss auf unser Leben nehmen – mehr noch als die Wechselwirkung aus Genen und Umfeld: Ein Rückzugsort, den niemand außer uns kennt – auch ein imaginärer. Ein geheimes Lieblingsbuch, dass wir aus unerfindlichen Gründen irgendwo aufgegriffen haben und immer wieder lesen. Ein Musikstück, das aus einem vorbeifahrenden Auto erklang und uns in einem speziellen Gemütszustand so erwischte, dass wir uns plötzlich für eine neue Kultur interessieren, reisen, studieren, auswandern, was auch immer. Also kein „normaler“ Umweltreiz, sondern ein ganz unvorhergesehener.

Es gibt ja Menschen, die bei diesem Thema von Schicksal, Kismet, Karma und so weiter sprechen. Auch die Theorie der fiktiven Psychologin Hilda von Kanterborg könnte man mit Schicksal begründen, sofern man auch die unwahrscheinlichsten Zufälle als vorherbestimmt betrachtet. Doch zwischen Fatalismus und freiem Willen gibt es 50 Millionen Graustufen, und ich kenne – vielleicht abgesehen von meiner Mutter – keinen einzigen Menschen, der seine Selbstbestimmung oder das Streben nach Weltveränderung so leichtfertig aufgegeben hätte.

Jetzt ist natürlich fraglich, inwiefern mich ihre Haltung beeinflusst hat…