Petrichor
Grimoire

Petrichor mal 10

Der Sommer ist nicht meine Jahreszeit, und die letzten Wochen mit Temperaturen deutlich über 30°C, Schwüle und täglichen Gewittern haben meine Sehnsucht nach dem Herbst noch einmal extra befeuert. Ich habe niedrigen Blutdruck, und mein Kreislauf ist bei solchen Wetterbedingungen ein mieser Verräter, deshalb kann man mich kurz vor einem hochsommerlichen Platzregen mit Blitz und Donner schon mal schweißüberströmt durch die Straßen schlingern sehen. Das ist mir unangenehm und mit zwei mittelgroßen Hunden, von denen einer nicht gelernt hat, an der Leine zu gehen, wahrlich kein Vergnügen.

Trotzdem gibt es einen Grund, die Gewitter zu mögen: Petrichor. Der Geruch von Regen auf warmer, trockener Erde. Egal ob auf Asphalt, moosigem Waldboden oder krautigen Gärten und Wiesen, es duftet himmlisch.

Weil der Hund, der nicht gelernt hat, an der Leine zu gehen, erst vor kurzem aus den Arabischen Emiraten nach Deutschland gekommen ist, nehme ich Petrichor dieser Tage besonders bewusst wahr. Der Hund kennt diesen Duft gar nicht. Dort, wo er herkommt, regnet es im Sommer nicht und auch im Winter nur sehr selten. Ich habe ihn beobachtet. Hunde gehören zu den Makrosmaten, sie haben zehnmal mehr Riechzellen als wir Menschen. Ich versuche mir auszumalen, wie eine Hundenase Petrichor wahrnimmt. Eine Hundenase, die nie zuvor Waldboden gerochen hat, und schon gar nicht Waldboden nach einem Sommerregen.

Es scheint den Wüstenprinzen ähnlich zu überfordern wie die Wassermassen des Rheins. Er ist so aufgeregt, dass es an Stress grenzt. Reizüberflutung ist nicht angenehm. Wenn man lange gegen seine Natur gelebt hat, ist die Befreiung oft erstmal anstrengend. Hunde und auch wir Menschen sind Gewohnheitstiere, und selbst Veränderung zum Besseren versuchen wir intuitiv zu vermeiden. Die Komfortzone kann alles andere als wirklich komfortabel für uns sein, und doch nehmen wir sie so wahr, weil wir es nicht anders gewohnt sind. Das ist schon ein bisschen verrückt.

Danke für das Foto, Andriyko Podilnyk