gefährliche Idylle
Grimoire

Nationalpark-Mysterien

Wie bei CNN kürzlich zu lesen war, sterben in amerikanischen Nationalparks durchschnittlich sechs Menschen pro Woche. Es gibt dort also umgerechnet fast einen Todesfall pro Tag. Das klingt erst einmal drastisch, aber es ist angesichts der Millionen täglicher Besucher dieser Parks – bei aller Tragik – keine schockierende Zahl. Allerdings weist Jeremy Barnum, der Sprecher des US National Park Service, explizit darauf hin, dass ein erheblicher Teil dieser tödlichen Unglücke vermeidbar wäre.

Viele Unfälle passieren, weil Besucher sich nicht ausreichend auf ihre Tour vorbereiten. Sie informieren sich nicht vorab über mögliche Gefahren auf dem gewählten Trail, sind nicht angemessen gekleidet, haben nicht genug Proviant und vor allem nicht genug Wasser dabei, vergessen, dass es unterwegs oftmals kein Netz gibt, verlassen die gekennzeichneten Wege oder überschätzen schlicht und einfach die eigenen Kräfte. Zu wenige wissen, wie man sich bei Begegnungen mit potenziell gefährlichen Tieren (dazu gehören auch so manche unterschätzten Insekten) richtig verhält und haben den Umgang mit dem Bärenspray nicht geübt.

Zu einer der häufigsten Ursachen für tödliche Unfälle in US National Parks hat sich in den letzten Jahren außerdem – wenig überraschend – das Abschalten des Hirns beim Fotografieren entwickelt. Wahlweise knipsende oder posierende Menschen stürzen von Klippen, ertrinken in Flüssen, werden von Wasserfällen zerschmettert oder von einer wütenden Bärenmama getötet.

Fairerweise muss man aber sagen, dass längst nicht alle tragischen Unfälle Anwärtern für den Darwin-Award zuzuschreiben sind. Die Natur birgt nun einmal Gefahren, und manche Menschen haben einfach schreckliches Pech. Es gibt allerdings auch eine Vielzahl Todesfälle (und noch mehr ungeklärte Vermisstenfälle), die ein Mysterium bleiben. Wenn es keine offensichtlichen Gefahren, keine vermeidbaren Fehler, keinen Leichtsinn und auch keine ignorierten Warnungen gab. Und manchmal ist es sogar unmöglich, die genaue Todesursache festzustellen, wenn erfahrene Wanderer tot aufgefunden werden. Solche Fälle geben Rätsel auf und sorgen für wilde Spekulationen, bei denen nicht selten Aliens, Hexen, Monster oder das FBI eine tragende Rolle spielen.

Die Tragödie im Sierra National Forest

Ein solcher Fall geht gerade durch die Medien, und eine der (bis vor kurzem) plausibelsten Erklärungen war auch für mich neu und daher sehr lehrreich in Bezug auf unsichtbare Gefahren beim Wandern. Es geht um eine junge Familie samt Hund, die von einer Wanderung im Sierra National Forest in Kalifornien nicht zurück kehrte. Das Paar, ein Software-Entwickler und eine Yoga-Lehrerin, war schon in der Wüste Gobi und im Himalaya unterwegs. Die beiden waren also definitiv keine Anfänger. Und bei ihrem letzten Ausflug Mitte August hatten sie neben ihrem Hund erstmals auch ihre kleine Tochter mit dabei – in einem speziellen Tragegurt vor dem Bauch.

Die vier kamen nicht wie geplant von ihrer Tour zurück, wurden daher von Freunden als vermisst gemeldet und wenige Tage später tot aufgefunden. Alle dicht beieinander, am Wegesrand, also nicht etwa abseits des Trails, und äußerlich unversehrt. Sie müssen ziemlich zeitgleich gestorben sein, und das ist bei zwei Erwachsenen, einem Baby und einem mittelgroßen Hund schon recht ungewöhnlich, wenn es keine äußere Gewalteinwirkung gab.

Man stellte auch fest, dass die Familie noch ausreichend Wasser bei sich hatte. Ein toxikologischer Befund wurde angeordnet, denn man vermutete zunächst eine Vergiftung durch Algen, die in den dortigen Gewässern gerade für Probleme sorgten. Doch würden erfahrene Wanderer trotz Warnschildern ungefiltertes Wasser trinken, noch dazu, wenn ein Baby dabei ist, und wenn die eigenen Wasservorräte noch ausreichten? Sehr unwahrscheinlich.

Die wie erwähnt lange Zeit plausibelste Erklärung drehte sich um eine Kohlenmonoxidvergiftung durch aus Höhlen in der Umgebung entwichene Luft. Denn der Fundort der Leichen befand sich in einer Senke. Mir war nicht bekannt, dass die Gase aus Stollen oder Höhlen in regelrechten Wolken entweichen und noch einige hundert Meter entfernt, an vermeintlich „frischer“ Luft, immer noch tödliche Konzentrationen aufweisen können. Das ist gut zu wissen, aber auch ganz schön beängstigend. Inzwischen wurde diese Theorie jedoch bereits wieder verworfen, denn im Fall der toten Familie im Sierra National Forest waren die besagten Höhlen viel zu weit entfernt.

Somit gibt es selbst mehrere Wochen nach dem Unglück immer noch keine Erklärung für die Tragödie. In Konsequenz wurden nun gleich mehrere Nationalparks im Westen der USA wegen einer „unbekannten Gefahr“ geschlossen. So etwas gab es noch nie, und das weckt natürlich die Phantasie derer, die gerne oben erwähnte Hexen und Monster herauf beschwören. Der National Park Service bemüht sich, solche Geschichten zu zerstreuen, aber mit nur mäßigem Erfolg.

Ein wenig spooky ist das alles schon, und es wäre sehr beruhigend, wenn sich bald doch noch heraus stellen würde, was der armen Familie wirklich zugestoßen ist. Denn schließlich gibt es noch eine ganze Menge anderer mysteriöser Vorfälle in den großen Waldgebieten der USA, und so etwas ist keine gute Grundlage für ein vernünftiges Verhältnis zur Natur.

Danke für das Foto, Zhang Kaiyv

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