
Minischritte
Laufen gelernt habe ich vor ungefähr 50 Jahren ungefähr 50 km von hier. Die Mini-Klotschen, die damals für mich gekauft wurden, weil es in der dänischen Diaspora keine normalen Schuhe gab, die auf meine immer schon etwas zu klein geratenen Füße passten, habe ich heute immer dabei. Sie erinnern mich an mein Ziel, und daran, dass ich ihm auch mit kleinen Schritten näher komme. Daran, dass man vor allem anfangs keine Riesensprünge machen kann, und wenn es einen noch so sehr juckt.
Allerdings bin ich jetzt so kurz vor meinem Ziel, dass ein Spurt durchaus angemessen wäre. Aber ich renne in ein Gummiseil, wie bei einem horizontalen Bungeesprung, weil irgendwo da hinten jemand bremst, und ich habe keine Ahnung, wofür das gut sein soll. Ich möchte kotzen, wie damals in der Schule beim Cooper-Test, doch dann bekäme ich eine sehr schlechte Note, und sowieso darf dieser Trip nicht so erbärmlich enden. Also übe ich mich in Geduld und Ausdauer und ausreichender Sauerstoffzufuhr und bewundere währenddessen ausgiebig die Landschaft.

Unsere Zeit in dem kleinen Traumhäuschen in Ærøskøbing ist vorbei, und mangels eines anderen festen Dachs über dem Kopf, haben wir mal wieder im Bus übernachtet. Ich hatte durch Zufall einen fantastischen Stellplatz entdeckt, an der Südküste, abgelegen und einsam, mit einem herrlichen Blick aufs Meer. Und als für die Nacht Gewitter angesagt wurden, freute ich mich schon auf das Spektakel mit Blitz und Donner über dem Kleinen Belt.


Aber dann wurde mir bewusst, dass wir auf einem der höchsten Punkte der Insel standen, sehr exponiert und direkt am Wasser, und dass das wahrscheinlich doch keine so gute Idee wäre, faradayscher Käfig hin oder her. Deshalb zogen wir um in die Marina von Søby an der flacheren Nordküste. Es hat dann kaum gewittert, aber gestürmt und gegossen wie aus Kübeln, samt deutlichem Temperatursturz. Neben uns zeltete eine Gruppe Kajakfahrer, die mir ganz schön leid getan haben. Selbst für hartgesottene Outdoor-Junkies war das sicher keine vergnügliche Nacht.

Jetzt sind wir auf einem Reiterhof bei Tranderup, und ich habe einem Kamin in unserem Zimmer, den ich gleich anfeuern werde, denn es ist immer noch ganz schön ungemütlich draußen. Am liebsten wäre ich natürlich längst in unserem eigenen Zuhause, ohne dieses ständige Suchen, Einpacken, Auspacken, neu Orientieren. Ein Vorteil unseres Herumgondelns kristallisiert sich aber – neben des Flexibilitäts-Trainings – trotzdem heraus: Man lernt sehr viele Leute unterschiedlichster Couleur kennen, die alle aus interessanten Gründen auf der Insel sind. Vielleicht muss ich deswegen immer noch warten. Vielleicht fehlt noch irgendeine wichtige Begegnung, bis ich ins Ziel einlaufen darf.

