Leere Herzen, volle Aschenbecher
Grimoire

Leere Herzen, volle Aschenbecher

Eigentlich wollte ich etwas über die mysteriöse Frau schreiben, die auf der Beerdigung meines Vaters erschienen war, und die niemand kannte. (Einer der ganz wenigen Vorteile der Pandemie ist der, dass wir es vielleicht schaffen, etwas über sie zu erfahren, denn im Moment ist es ja verpflichtend, seine Kontaktdaten für eine mögliche Rückverfolgung zu hinterlegen.) Aber jetzt, ein paar Tage nach der Beerdigung, beim Eintüten und Frankieren der Trauerdanksagungen, fällt mir auf, dass es nicht nur Kondolenz von unerwarteter Seite gab, sondern dass sich engste Verwandtschaft überhaupt nicht gerührt hat.

Im Falle der älteren Schwester meines Vaters ist es nicht sehr überraschend. Sie hatte sich schon geweigert, von ihrer eigenen Mutter Abschied zu nehmen, als diese im Sterben lag. Und auch zum Tode meiner Mutter hat sie ihrem verwitweten Bruder kein Wort der Anteilnahme zukommen lassen. Ich habe noch vor wenigen Wochen, anlässlich ihres Geburtstages, mit ihr telefoniert und dabei erfahren, warum sie einen solchen Groll hegt. Diesen Groll kann ich zwar verstehen, aber ich finde es dennoch befremdlich, bis über den Tod hinaus so unversöhnlich zu sein.

Auch von meiner Verwandtschaft mütterlicherseits kam keinerlei Reaktion auf die Todesanzeige. Meine Patentante ist dement, aber mein Cousin und seine Frau hätten sich normalerweise melden müssen. Ich meine damit keineswegs irgendwelche Etikette oder Förmlichkeiten (in dem Bereich bin ich selbst nicht gerade vorbildlich), aber es sind eigentlich höfliche und aufmerksame Menschen, zu denen der Kontakt zwar nicht besonders eng, aber ungebrochen ist. Deshalb mache ich mir ein bisschen Sorgen, ob es dort aktuell Probleme geben könnte, die alles andere überschatten. Obwohl ich auch hier nicht ausschließen kann, dass irgendwer irgendwem auf die Füße getreten sein könnte und daher passiv-aggressives Schweigen herrscht.

Innerhalb von Familien gibt es bekanntermaßen die bittersten und absurdesten Fehden und Animositäten. Aber wie ich oben schon schrieb: Ich kann mir nur ganz wenige Dinge vorstellen, die eine Versöhnung bis zum letzten Ende ausschließen würden. Und ich finde es unsagbar traurig, dass manche Menschen sich selbst und ihren nächsten Angehörigen oder Freunden ein Ende in Frieden verwehren. Gut möglich, dass hier mal wieder meine Harmoniesucht zum Tragen kommt. Aber für mich selbst wünsche ich mir, dass ich am Schluss keinen emotionalen Restmüll hinterlasse, der dann niemals mehr entsorgt werden kann.

Danke für das Foto, George Gvasalia

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