Taylor Hawkins Memorial in Bogota
Grimoire

Kanalisieren

Heute Vormittag habe ich ein paar Ausschnitte des gestrigen Taylor Hawkins Tribute Konzerts gesehen. Der Schlagzeuger der Foo Fighters war im März unerwartet verstorben. Zahlreiche Künstler, mit denen Hawkins im Laufe seiner Karriere zusammen gearbeitet hatte, zollten dem Musiker in einer sechs Stunden dauernden Show Tribut. Es wurde gefeiert und geweint, und bei einer Szene kamen auch mir die Tränen. Für „My Hero“ betrat Taylor Hawkins‘ sechzehnjähriger Sohn Shane die Bühne und übernahm den ehemaligen Platz seines Vaters an den Drums.

Ich musste sofort daran denken, dass ich mir nicht einmal zugetraut habe, bei den Beerdigungen meiner Eltern eine kurze Rede zu halten. Ein paar Monate später auf ein Drumkit einzudreschen wäre sicher möglich gewesen, aber dieser Junge legt eine Profi-Performance ausgerechnet dieses Titels hin, vor Millionen Zuschauern. Wie schafft das ein 16-Jähriger? Ich bin echt beeindruckt.

Es ist interessant, wie unterschiedlich – bewusst, begabt oder geübt – Menschen mit intensiven Gefühlen umgehen. Oder umgehen können. Die Gabe, Emotionen konstruktiv zu kanalisieren, scheint manchen angeboren zu sein. Sie machen es instinktiv richtig. Andere haben es irgendwo gelernt, vielleicht von ihren Eltern oder in einer Therapie. Und wieder andere, so wie ich, lernen es womöglich nie. In der Theorie, ja, aber in der Praxis? Das ist ein echtes Handicap, und ich bin überzeugt, dass viele psychische Erkrankungen, besonders auch Suchterkrankungen, daraus resultieren.

Oliver Shane Hawkins jedenfalls, der spätestens seit gestern Abend als Rockstar gilt, kann definitiv kanalisieren. Und damit hat er gute Chancen, gegen die Probleme, die einen nicht unerheblichen Anteil am viel zu frühen Tod seines Vater hatten, gefeit zu sein.



Bild: Joekiser: Memorial set up outside the Four Seasons Casa Medina Hotel, two days after Taylor Hawkins passed away there. CC BY-SA 4.0