
Im idyllischen Wartezimmer
Die Wartezeit bis zum Einzug ins dauerhafte Zuhause zieht sich inzwischen etwas unangenehm in die Länge. Obwohl es spannend ist, sämtliche Ecken der Insel so gut kennen zu lernen, wie man es wohl nur kann, wenn man ein paar Tage am selben Ort seine Basis hat, bin ich das ständige Umziehen langsam leid. Mal davon abgesehen, dass es ganz schön kostspielig ist.
Aber die vielen Informationen, die ich auf diese Weise bekomme, sind unbezahlbar, deshalb betrachte ich es als Investition. Besonders unter den Airbnb-Hosts sind viele Zuwanderer, die mich mit reichlich Insidertipps, Kontakten, Zuspruch und anderen nützlichen Dingen (unter anderem eine dänische SIM-Karte, auf die ich sonst ewig hätte warten müssen) versorgen. Davon abgesehen hätte eine introvertierte Person wie ich normalerweise niemals in so kurzer Zeit so viele Menschen kennengelernt. Mein Horizont wird täglich erweitert.
Meine aktuellen Gastgeber finde ich besonders interessant. Sie sind noch sehr jung und haben mehrere „Standorte“ in ganz Europa, zwischen denen sie das Jahr über so geschickt hin und her wechseln, dass es steuerlich ideal auskommt. Normalerweise hätte ich so etwas als „gesellschaftlich nicht ganz fair“ bezeichnet, aber ich überdenke einige meiner Glaubenssätze und Wertemodelle gerade. Sie sind längst überholt und haben mir Zeit meines Lebens sowieso nur Nachteile eingebracht. Ich weiß schon lange, dass ich diesbezüglich etwas ändern muss, und jetzt ist die Gelegenheit dafür perfekt.
Zu meinem Geburtstag gönne ich mir nochmal eine Unterkunft in Marstal. Und wahrscheinlich irgendetwas Alkoholisches. Obwohl das hier noch teurer ist als ein Bett in der Hauptsaison. Aber es ist schließlich ein runder Geburtstag, und man weiß ja nie, ob es nicht der letzte ist. Oder zumindest der letzte, an dem der Normalmensch noch Alkohol kaufen kann, weil er bald illegal oder nur noch als Benzinersatz verfügbar ist. „Jahre der Knappheit“ stehen an, oder wieder finsteres Mittelalter. Habe ich eigentlich schon erwähnt, wie froh ich bin, Deutschland verlassen zu haben? Und noch mehr, nicht in den USA zu sein, wo Gilead mehr und mehr zur Realität wird?
Trotz der elenden Warterei bin ich gerade so unendlich dankbar. So gut wie jetzt ging es mir ewig nicht. Es ist nicht leicht, das ohne ein schlechtes Gewissen dem Rest der Welt gegenüber zu genießen. Die Mutter einer Freundin liegt gerade im Sterben, und ich bin unfähig, echten Trost zu spenden. Mich überrascht die Erkenntnis, dass man scheinbar selbst unter idealsten Bedingungen nicht ideal funktioniert. Oder jedenfalls nicht immer. Das ist ein Wermutstropfen.

