Herbst
Grimoire

Herbstanfang

„Our real discoveries come from chaos“, hat Chuck Palahniuk mal gesagt, und ich zitiere diesen Satz oft und gerne. Wahrscheinlich ist er eine Art Erste-Hilfe-Mantra für mich. Ich kann dem Chaos an sich nämlich wenig abgewinnen. Die Erleuchtung kommt erst danach, oder jedenfalls markiert sie das Ende von chaotischen Zuständen. Davor ist es ätzend, und da bin ich gerade mal wieder.

Die „Handwerkersituation“ ist eine pain-in-the-arse, und ich fühle mich machtlos, was vermutlich das Frustrierendste daran ist. Die Sprachbarriere macht es nicht einfacher, und mein Eindruck ist, dass es auch da überhaupt nicht voran geht. Diese verdammte Sprache! Vor allem scheine ich mit jeder dänischen Vokabel, die ich lerne, eine englische zu vergessen. Und da Englisch momentan noch meine vorherrschende Verständigungsbrücke darstellt, werden die Dinge gerade eher schwieriger.

Und dann meine Launen. Früher war das nicht so ausgeprägt, aber seit ein paar Jahren ist meine Stimmung extrem mit Luftdruck und Wetter verbunden. Vor Sturm und Gewitter ist mit mir nicht gut Kirschen essen, und der aktuelle Herbsteinbruch mit Wind, Blitz und Donner hat mich ordentlich auf Krawall gebürstet. Der unzuverlässige Elektriker wird sicherlich sämtliche Kollegen auf dieser Insel vor der Bitch in Ommel warnen. Es würde mich nicht wundern, wenn ich ohne Heizung durch den nächsten Winter kommen muss.

Ein bisschen verstört hat mich die Nachricht vom Tod einer Bloggerin. Sie war ungefähr so alt wie ich, eine von denen, die seit den Zeiten der digitalen Bohème ins Internet geschrieben haben. Ich erinnere mich wegen einiger romantischer Dramen an sie. Letzte Woche hat ihr Herz einfach aufgehört zu schlagen. Wie schrecklich für ihre Familie. Und wie arg überhaupt, so ein völlig unerwartetes Ende eines Lebens, das noch viel länger hätte andauern sollen. (Man merkt, ich stehe immer noch auf Kriegsfuß mit dem Tod, völlig egal wann und in welcher Kluft er daher kommt.)

Ausgerechnet in dieser Woche habe ich außerdem noch einmal den Grabhügel bei Kragnaes besucht. Schon als ich das erste Mal dort war, hat er mir ein ungutes Gefühl vermittelt. Aber das hätte ja auch an gott-weiß-was liegen können, an mir selbst zum Beispiel. Deshalb wollte ich längst noch einmal dort hin, zu einer anderen Jahres- und Tageszeit. Um es kurz zu machen: Es war genauso wie im Mai. Der Ort ist ganz seltsam. Ungut seltsam. Er vermittelt einem ein Verzieh dich!-Gefühl. Es ist unwirtlich dort, verlassen, leblos und voll unterdrücktem Groll und Bitterkeit. Komischerweise scheinen es die Hunde nicht zu spüren. Oder es betrifft sie nicht. Auf dem Heimweg hätte ich beinahe einen Unfall gebaut (eine hohe Kunst angesichts des quasi nicht existenten Verkehrs auf Ærø), und am Abend durfte ich mir die erste Zecke meines Lebens aus der Haut pulen.

Aber auch ein Haufen positiver Entdeckungen hat die letzten Tage geprägt. Am coolsten war der Moment, als ich aus meinem Fenster sah und dachte, einen Kolibri zu sehen. Nach kurzer Recherche wusste ich, dass ich ein Taubenschwänzchen beobachtet hatte, einen tagaktiven (!) Nachtfalter, der einem Kolibri zum Verwechseln ähnlich sieht. Auch wenn es kein Mini-Vögelchen war, war die Sichtung doch ein seltener Glücksfall, denn Taubenschwänzchen sind in diesen Breiten eine Rarität. Eigentlich gehören Sie ans Mittelmeer.



Und dann habe ich erfahren, dass es auf der Insel erstens eine ständige Population weißer Mäusebussarde und zweitens ein Seeadler-Brutpaar gibt. Auf der Lauer zu liegen ist in den letzten Monaten völlig ins Hintertreffen geraten. Zuviel anderes hat mich auf Trab gehalten. Nicht einmal meine Wildkamera habe ich benutzt. Doch jetzt rutschen diese Dinge langsam wieder in meinen Fokus. Obwohl im Fokus noch nicht wirklich Platz ist. Wahrscheinlich ist mein Hirn auch deshalb gerade wie ein unaufgeräumter Schreibtisch.

Hoffentlich lichtet sich das Chaos bald. Im Moment würde ich besagten Schreibtisch nämlich am liebsten anzünden um ihn aus den Augen zu haben.