London Café
Grimoire

Fleabag

Im Zuge des vergangenen Binge-Wochenendes habe ich mir auch die erste und zweite Staffel von Phoebe Waller-Bridges „Fleabag“ angesehen. Ich kannte bisher nur einzelne Episoden und Ausschnitte in der englischen Originalversion. Wegen des Dänischlernens hat mein Englisch gelitten, deshalb waren mir einige nicht unwesentliche Feinheiten und Details entgangen. Aber jetzt kann ich mir ein Gesamturteil erlauben: Die Serie ist das Beste, was ich seit Langem gesehen habe. Ich weiß, dass manche Leute sie „widerwärtig“ finden, doch ich finde sie genial. Ich habe Tränen gelacht. Allerdings kamen die Tränen nicht immer nur vom Lachen. Fleabag ist scharfsinnig, zum Schreien komisch, aber auch entsetzlich tragisch und dabei so böse, wie es nur die Briten schaffen.

Phoebe Waller-Bridge ist nicht nur die Erfinderin und Produzentin der Serie, sondern sie spielt auch die Hauptrolle. Fleabag ist der Spitzname der jüngeren von zwei Schwestern, die vor drei Jahren ihre Mutter verloren haben. Der Vater der beiden ist seitdem mit der besten Freundin der Mutter zusammen, einer Künstlerin, die man als Zuschauer nur hassen kann. Diese neue Beziehung des Vaters führt zu Zerwürfnissen innerhalb der Familie. Dazu kommen die sehr verschiedenen Lebenswege der Geschwister. Fleabags ältere Schwester ist brav, sehr erfolgreich und verheiratet. Fleabag selbst ist promiskuitiv bis zur Nymphomanie, verantwortungslos und führt ein Café, das kurz vor dem Ruin steht. Ihr unerträglicher Schwager hat ein Alkoholproblem, das ihn und seine aggressiven Anzüglichkeiten noch unerträglicher macht. Und zu allem Überfluss hat sie vor kurzem ihre beste Freundin, mit der sie das Café ursprünglich eröffnet hatte, verloren. Ein Unfall, wie Fleabag steif und fest behauptet. Es handelte sich dabei wohl um einen nicht ganz ernst gemeinten Selbstmordversuch, der leider geglückt ist. Erst am Ende der ersten Staffel erfährt man die ganze, tragische Wahrheit darüber.

So eine Story kann eigentlich unmöglich komisch sein, aber sie ist es. Das liegt zum Einen an Fleabags skurrilen Männerbekanntschaften und sexuellen Eskapaden. Zum Anderen ist die Dynamik zwischen den beiden Schwestern, die sich aller (vermeintlichen) Gegensätze zum Trotz innig lieben, einfach sensationell. Am besten gefiel mir die Episode im Schweigeseminar für Frauen, mit einem Workshop für „bessere Männer“ gleich nebenan. Das möchte ich aber nicht spoilern. Es ist einfach zu schön.

In der zweiten Staffel, die ein Jahr später einsetzt, ist es Fleabag gelungen, sich zu fangen und ihr Leben einigermaßen in den Griff zu bekommen. Doch sie wird mit einer letzten großen Challenge in Person eines attraktiven Priesters konfrontiert. Dieser Priester soll die Trauung von Fleabags Vater und seiner Lebensgefährtin (der fiesen Künstlerin) durchführen. Er ist nicht nur attraktiv, sondern entpuppt sich im Grunde als Fleabags perfektes Gegenstück. Er trinkt, raucht, flucht, trägt sein Herz im Ärmel und durchschaut die Menschen genau wie sie. Die Beziehung, die sich unweigerlich entwickelt, gerät zu Fleabags letzter Läuterung, bringt damit aber auch ihre Heilung zum Abschluss. Zumindest darf der Zuschauer das am Ende hoffen.

Die erste Staffel wird im Verlauf bei aller Situationskomik immer düsterer, parallel zu Fleabags psychischem Zustand. In der zweiten Staffel dagegen werden die Probleme der perfekten älteren Schwester zunehmend drängender. Doch beide Frauen erleben quasi zeitgleich zum ersten Mal die wahre Liebe, was dem düsteren Beginn ein beinahe leichtes Staffelende folgen lässt. Phoebe Waller-Bridge schafft diesen absolut stimmigen Bogen trotz der absurd-komischen bis realsatirischen und vor allem anti-kitschigen Verwirrungen mit Bravour. Diese Serie hat ihre vielen Preise und Auszeichnungen wirklich verdient.




Danke für das Foto, Edvinas Bruzas