
Ferry tales
Eine meiner Nachbarinnen, auch eine Deutsche, hat ihren Mann kennengelernt, als sie vor Jahren auf dem Weg nach Ærø die letzte Fähre verpasste. Sie nächtigte gezwungenermaßen in ihrem Kleinwagen auf dem Parkplatz und traf dann am nächsten Morgen – arg zerknittert – den als erstes eintrudelnden weiteren Fahrgast, der extra früh anreiste, weil er kein Ticket reserviert hatte. Es funkte zwischen den beiden. So kann es gehen.
Ich liebe solche Geschichten, die ohne Tinder oder Social Media auskommen. Und offensichtlich habe ich ja jetzt sowieso ein Faible für alles, was mit Schiffen, Booten, Häfen und so weiter zu tun hat. Obwohl ich die Fährverbindungen eigentlich umständlich und lästig finde, weil sie die Mobilität merklich ausbremsen, liebe ich die Überfahrten. Bisher hatte ich allerdings auch immer Glück mit dem Wetter. Kein übermäßiges Schaukeln, keine Kotzerei, keine Horrorvisionen vom Kentern, die mich bereits heimsuchen, wenn ein bisschen Gischt spritzt.
Heute Morgen gab es das erste Mal eine Nervosität verursachende Situation, als sich herausstellte, dass mich der unglaublich attraktive Platzanweiser vorschnell auf die Fähre gelassen hatte. Ich hatte leichtsinnigerweise nicht reserviert, weil die frühe Fähre nach Ende der Hauptsaison angeblich immer ausreichend Platz hat. Doch heute kamen nach mir noch ein riesiger Laster und ein ca. zehn Meter langes Wohnmobil samt schnittigem Segelboot auf dem Anhänger. Natürlich mit Ticket. Beinahe hätte ich wieder runter fahren müssen, was hakelige Rangiererei erfordert hätte. Zum Glück passten am Ende doch noch alle aufs Schiff. Die Mitarbeiter auf den Fähren sind eben Tetris-Weltmeister, und Brummi-Fahrer sind in Sachen Millimeterarbeit sehr viel besser als so mancher Heimwerker-Influencer. Trotzdem werde ich zukünftig immer reservieren.
Ich bin gespannt, wann sich bei mir sowas wie Routine beim Fährefahren einstellt. Bei einigen Passagieren beobachte ich das. Es sind meistens Handwerker, die sich schon beim Warten im Hafen in Grüppchen zusammenrotten und klönen. Bei denen wissen die Mitarbeiter an der Kasse der Bord-Caféteria schon, was sie haben wollen. Diese Leute fahren Fähre wie andere mit der U-Bahn. Hoffentlich vergessen sie nie, wie viel toller es ist, mit einem Schiff zu Arbeit zu fahren.
Meine Mutter, die in Travemünde geboren wurde, musste damals mit ein paar weiteren Kindern die Fähre zur Schule nehmen. Sie hat erzählt, wie oft Schultaschen, Pausenbrote oder auch die Kinder selbst (vorzugsweise mein Onkel) ins Wasser plumpsten, wenn sie in halsbrecherischer Manier auf die bereits ablegende Fähre sprangen oder an Bord zankten. Für mich klang das immer total abenteuerlich und aufregend. Vielleicht keimte damals schon der Wunsch in mir, einmal auf einer Insel zu leben.
Wenn ich dagegen an die Überfahrten von Piräus nach Paros denke, graut mir noch heute. Riesige, laut stampfende Pötte, die nach Diesel stanken und unzählige Stunden unterwegs waren, gerne deutlich länger als geplant, weil der Kapitän um Sprit zu sparen den Motor abschaltete und stattdessen die Strömung nutzte. Diesen alten, rostigen und meistens hoffnungslos überfüllten Kähnen habe ich nie getraut. Als damals, im Spätsommer 2000, die Express Samina vor Paros sank und 80 Menschen starben, fühlte ich mich in meiner Furcht bestätigt. Da würde ich lieber noch einmal so ein kleines Flugzeug mit 16 Sitzen besteigen, das über der Ägäis hüpft und bockt wie ein zickiges Pony. Obwohl ich Flugzeuge hasse.

