Dumb Supper
Grimoire

Dumb Supper

Es hat mich selbst überrascht, wie oft ich zum Friedhof gegangen bin, als ich noch nicht so weit weg vom Grab meiner Eltern entfernt lebte. Offensichtlich hat mich das wöchentliche Ritual, die Pflanzen zu gießen, eine neue Kerze anzuzünden und das Vogelhäuschen nachzufüllen, getröstet. Oder ich fühlte mich dazu verpflichtet, das kann ich gar nicht so genau differenzieren. Jedenfalls fehlt es mir, und ich versuche es mit diversen Alternativen zu kompensieren.

Anlässlich des Datums habe ich jetzt eine Tradition ausprobiert, die in leicht abgewandelter Form in fast allen Kulturkreisen verbreitet ist – oder war. Schon im alten China und bei den Römern war dieser Brauch bekannt. Heute wird er vor allem in Vodou, Hoodoo und Neuheidentum gepflegt. Er fällt in die Kategorie allerlei ähnlicher Praktiken, die sich um das Thema Essen für die Toten drehen und nennt sich „Dumb Supper“.

Was mir daran gefällt ist die Tatsache, dass es nur wenig feste Regeln gibt. Es muss kein Festmahl sein. Der Tisch wird für die Verstorbenen mitgedeckt, bevorzugt mit schwarzer Tischdecke und schwarzen Servietten. Man kann die Plätze der Toten mit Fotos oder Tischkarten markieren, wenn man möchte. Die Gänge werden in umgekehrter Reihenfolge serviert, der Nachtisch kommt also zuerst. Aus diesem Grund drehen viele auch die Anordnung von Besteck und Tellern um. Aber am wichtigsten ist: Ein Dumb Supper ist ein stilles Mahl. Zu Beginn wird ein Toast gesprochen, danach ist Sprechen unerwünscht. Keine Musik und weder plappernde Kinder noch Handys am Tisch. Entsprechend wird während des Mahls auch nicht fotografiert.

Ich habe das Ganze sehr simpel gehalten, mit dem dänischen Lieblingskuchen meiner Eltern und dem, was sie typischerweise zu Abend gegessen haben. Es war – nett. Auf jeden Fall hat es mir geholfen, das zuletzt empfundene Defizit an Wertschätzung, Respekt oder Ehrerbietung wieder etwas auszugleichen. Darum ging es wahrscheinlich. Ich bin ziemlich sicher, dass ich es nächstes Jahr wieder machen werde.