
Drei Seelen
In der Mythologie des einzigen indigenen Volks Europas, der in Lappland heimischen Samen, existiert ein Seelenkonzept, das ich besonders interessant finde. Zum Einen gestehen die Samen einfach allem eine Seele zu. Menschen, Tieren und allen übrigen Lebewesen wie den Pflanzen, aber auch Dingen, egal ob materiell oder immateriell. Ein Stein hat ebenso eine Seele wie eine Wolke oder ein Wassertropfen. Zum Anderen besitzen Menschen nicht nur eine Seele, sondern drei. Auch Tiere haben in der Regel mehrere Seelen.
Der Mensch jedenfalls hat eine Oberseele, die ihn mit der Welt der Götter (die in der Oberwelt zuhause sind) verbindet – vielleicht vergleichbar mit dem heute in manchen spirituellen Lehren populären höheren Selbst oder Überbewusstsein. Die Mittelseele wird den Körperfunktionen zugeordnet und spielt entsprechend auch bei Krankheit oder Schmerz eine Schlüsselrolle. Die Namensseele wiederum erhält jeder Mensch, wenn er einen Namen bekommt. Dieser Name stammt in der Regel von einem Vorfahren, und mit diesem Namen sollen bestimmte Eigenschaften, Fertigkeiten oder Kräfte auf den Neugeborenen übergehen.
Nun ist der Begriff „Seele“ ja sowieso nicht ganz eindeutig zu definieren, weshalb solche Vorstellungen und Konzepte wesentlich komplexer sind als ein paar Sätze oder oberflächliche Recherche abbilden können. Es bleibt ein Kratzen an der Oberfläche. Und leider gibt es keine Quellen, die weit genug zurück reichen, um frei von anderen kulturellen oder religiösen Einflüssen zu sein. Aber mir gefällt die Idee der Samen, das auch nach unserem modernen Verständnis „unbelebte Gegenstände“ eine Seele besitzen, weil sie eine Geschichte und somit Weisheit haben. Eigentlich lässt sich das schwer leugnen, denn wir wissen doch inzwischen, was für überraschende „Dinge“ als Datenspeicher dienen können. – Nun wird wieder jemand schreien, dass Information und Wissen nicht dasselbe sind. Aber wer kann schon sicher sagen, dass künstliche Intelligenz tatsächlich so neu und menschengemacht ist, wie unsere überhebliche Spezies glaubt?
Das Bild zeigt Zeichnungen auf einer Schamanentrommel aus Finnland, beschrieben und abgebildet von Johannes Scheffer in seinem Buch „Lapponia“ (1673)

