Töchter des Nordens von Sarah Hall
Grimoire

Die Töchter des Nordens

„Auf der anderen Seite kam eine frische, rote Wiese zum Vorschein, und aus dem üppigen Boden sprossen all die Blumen des Krieges, die zu pflücken die Geschichte uns verwehrt hatte.“
– Sarah Hall | Die Töchter des Nordens


Dieser Beitrag ist überfällig. Nicht nur, weil ich das Buch schon vor ein paar Wochen beendet habe, sondern auch, weil ich die Lektüre lange aufgeschoben hatte. Ich hatte keine Lust auf Dystopie, und der Klappentext und die Kritiken hörten sich zwar großartig an, aber „Die Töchter des Nordens“ von Sarah Hall roch auch ein bisschen zu militant feministisch für meinen Geschmack. Außerdem wirkte das Cover so, als wolle jemand sehr bemüht auf den Handmaids-Tale-Zug aufspringen.

Irgendwann habe ich mich dann aber doch an die Leseprobe gewagt und anschließend ohne weiteres Zögern das ganze Buch heruntergeladen. Man liest ein lückenhaftes Gefangenenprotokoll einer Frau, die sich „Schwester“ nennt. Sie lebt im Großbritannien einer sehr nahen Zukunft. Eine Katastrophe hat das Land in düstere Zeiten abgleiten lassen, wortwörtlich, denn Elektrizität, Gas und Benzin sind ebenso Mangelware wie frische Lebensmittel oder wenigstens ein Hauch von Off-Grid-Lebensqualität. Frauen – auch sehr junge Mädchen und dem fortpflanzungsfähigen Alter längst entronnene Ältere – werden gezwungen, sich eine Spirale einsetzen zu lassen. Nicht nur die Operation selbst, sondern auch die willkürlichen Kontrollen sind brutal und entwürdigend.

Schwester lebt mit ihrem Partner in London, wie die meisten Überlebenden. Es ist eine Art rationiertes Dasein, möglichst unauffällig und auf das allernötigste beschränkt. Vielen geht es noch deutlich schlechter, aber in Schwester gärt etwas, vor allem seit auch die Beziehung zu ihrem Mann zunehmend bröckelt. Eines Tages lässt sie alles inklusive ihrer Identität hinter sich und flüchtet in den Lake District, um sich einer Gruppe von Frauen anzuschließen, von der sie bereits seit ihrer Jugend (noch vor der Katastrophe) fasziniert ist. Vor allem deren legendäre Anführerin Jackie ist für Schwester schon lange eine glorifizierte Heldin.

Schwester wird dort bei ihrer Ankunft auf eine harte Probe gestellt. Eine Ernüchterung, jedenfalls für den Leser, doch Schwester bereut ihre Entscheidung nicht und findet schließlich ihren Platz unter den bunt zusammengewürfelten Frauen, die in extrem unwirtlicher Umgebung eine Farm bewirtschaften. Jackie bleibt ein Objekt der Bewunderung für Schwester, auch wenn sie schnell erkennt, wie radikal diese kluge, gebildete und charismatische Frau inzwischen geworden ist.

Eines Tages informiert Jackie die Frauen, dass die „Übergangsregierung“ – angeblich? – einen Überfall auf die vermeintlich rebellischen Frauen hoch in den Bergen des Lake District plant und stellt sie vor die Wahl: Sie können entweder gehen und zukünftig auf sich selbst gestellt sein oder gemeinsam mit ihr den Angreifern bei einem Guerilla-Angriff zuvor kommen.

Ich fand „Die Töchter des Nordens“ wirklich sehr spannend und das Bild einer weiblichen Variante von korrumpierender Machtgeilheit, Fanatismus, Aggression, Rache und Blutdurst realistisch. Auch dass Frauen dabei vielleicht sogar noch ein klein wenig intriganter und manipulativer vorgehen als Männer, wird in diesem Buch elegant vorgeführt. Das einzige, das mich ein bisschen gestört hat, war der sehr abrupte Schluss.

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