Die Schönheit der Nacht
Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich im Dunkeln fürchte. Sehr. Und immer schon. Als Kind war es die Hölle für mich, in den Keller zu gehen, der mir wie ein unheimliches, düsteres Loch in unserem Haus vorkam. Und wenn ich spät abends mein Fahrrad in die Garage bringen musste, die an ein verbotenes Nirgendwo grenzte, hatte ich jedesmal Herzrasen. Mit zunehmendem Alter hat es etwas nachgelassen, aber mein Freund wurde die Dunkelheit nie.
Als ich Anfang des Monats beim Perchtenlauf in einer benachbarten Ortschaft war, musste ich anschließend im Dunkeln nach Hause gehen, denn es war ein Feiertag. In der hiesigen Diaspora ist dann nach 18 Uhr weder Bus noch Taxi verfügbar. Ich gehe die Strecke oft mit meinem Hund. Bei Tag. Es ist nicht besonders weit, knapp sieben Kilometer. Aber es ist abgelegen und nicht mehr als ein besserer Trampelpfad durch Wald und Feld. Außerdem war Neumond, also stockdunkle Finsternis. Meine Taschenlampe, die ich vorher extra mit frischen Batterien ausgestattet hatte, bekam auf halber Strecke einen Wackelkontakt. Ein Alptraum für einen Angsthasen wie mich.
Ich weiß noch, wie erleichtert ich war, als ich endlich die erste Straßenlaterne erreichte. Dass ich aber praktisch gerannt sein muss, ist mir erst in den folgenden Tagen aufgefallen, weil meine Schienbeine weh taten. Ich musste über mich selbst lachen, aber ich empfinde diese irrationale Angst vor der Dunkelheit auch als echtes Handicap.
Besonders störend wurde sie zum Beispiel zuletzt, als ich mich bei einer Meditation, die normalerweise in einen sonnendurchfluteten Wald führt (danke, Andrea!), immer wieder zwischen bedrohlichen dunklen Bäumen wiederfand. Es war mir unmöglich, weiter zu gehen, und ich musste die Meditation abbrechen. Frustrierend.
Trotzdem habe ich es vor zwei Tagen doch noch einmal probiert. Es war zwar wieder Nacht im Wald, und ich wollte schon umkehren. Aber diesmal prangte über mir ein zum Sterben schöner Sternenhimmel, und die Atmosphäre war überhaupt nicht bedrohlich oder bedrückend. Um nicht völlig irre zu klingen verzichte ich an dieser Stelle auf Details. Nur so viel: Ich wurde in den dunklen Wald hinein geführt und habe dort fantastische Dinge gesehen. Im Nachhinein würde ich denken, dass ich mal wieder beim Meditieren eingeschlafen bin und geträumt habe. So war es vielleicht auch.
Aber am nächsten Morgen stoße ich bei der Frühstückslektüre im letzten Kapitel meines Buchs auf ein Gedicht von Opal Whitely:
Today near eventime I did lead
the girl who has no seeing
a little way into the forest
where it was darkness and shadows were.
I led her toward a shadow
that was coming our way.
It did touch her cheeks
with its velvety fingers.
And now she too
does have likings for shadows.
And her fear that was is gone.
Solche Synchronizitäten mögen reine Filterwahrnehmungen des bescheuerten menschlichen Gehirns sein, aber sie sind zu schön, um sie links liegen zu lassen. Es passte einfach wie die Faust aufs Auge.
Ich habe einen erheblichen Teil meiner Angst vor der Dunkelheit verloren, einfach so. Nach all den Jahren. Woher der plötzliche Wandel meiner Perzeption des finsteren Waldes kam, kann ich nicht sagen. Hirnchemie, Hormone, glücklicher Zufall, was auch immer. Aber ich bin sehr dankbar dafür. Es ist ein Durchbruch. Shadowwork, here I come!
