
Die Russen kommen
Tief in meinem Herzen hege ich eine große Liebe für Russland, wobei ich natürlich stark romantisiere, vor allem dank russischer Kunst und Literatur. Meine Sympathie gehört jedenfalls eher der russischen Seele als der amerikanischen (falls es überhaupt eine gibt). Darum geht es natürlich nicht, aber aktuelle Medienberichte lese ich dennoch mit spürbar mehr Skepsis als viele meiner Bekannten. Gestern allerdings ergab sich überraschend eine kleine Diskussion mit (überraschend) prorussischen Nachbarn, die davon überzeugt sind, dass Putin nicht in die Ukraine einmarschieren wird.
Ich las zuletzt auch an vielen Stellen im Netz Kommentare á la „Kommt mal runter, das ist nur Säbelrasseln!“. Und nach dem erwähnten Gespräch mit den Nachbarn habe ich mir die Mühe gemacht, diesen Artikel gründlich zu lesen, inklusive fast aller Verweise, denn Wikipedia ist sicherlich auch nicht die beste Quelle, aber in diesem Umfang samt Links und Verständlichkeit für Normalbürger ohne Alternative. Und der bestätigte mir meine Überzeugung, dass ein Einmarsch des russischen Militärs unmittelbar bevorsteht.
Mal ehrlich, es ist der ideale Zeitpunkt. Der Westen ist instabil wie ewig nicht, die EU bröckelt, Angie ist weg, der verrückte Trump zumindest für den Moment fern des roten Knopfs, und alle haben im eigenen Land so drastische Probleme, dass kaum jemand auch nur annähernd in der notwendigen Topform reagieren könnte. Falschinformationen sind an der Tagesordnung und dreiste Lügen von Politikern die neue Normalität – ohne jede Konsequenzen. In den letzten Jahren hat man einem immer diktatorischer agierendem Putin schon so viele Unverschämtheiten durchgehen lassen. Er wird einen Weg finden, es so aussehen zu lassen, dass er nicht den ersten Zug gemacht hat. Und dann wird es losgehen. Nächste Woche, übernächste, vielleicht aber auch schon heute Nacht.
Ich würde mich freuen, wenn ich falsch liege. Wenn dieser Beitrag schlecht altert, wie man so schön sagt. Und ich möchte betonen, dass es mir überhaupt nicht darum geht (geschweige denn zusteht zu behaupten), wer im Ukraine-Konflikt Recht oder Unrecht hat, falsch oder richtig handelt. Naturgemäß haben sowieso alle ein paar stichhaltige Argumente, aber leider auch längst viel zu viel Blut an den Händen. Der Punkt, an dem es noch eine Rolle spielen würde, wer im Recht ist, wurde überschritten, ohne dass es die mit Quengeln und Streiten und privaten Dramen beschäftigen Jammerlappen hierzulande (ich auch) mitbekommen hätten.
Darüber hinaus haben wir uns daran gewöhnt, in komplexen Dingen wie der Weltpolitik nichts mehr wirklich wissen zu können. Was tatsächlich vor sich geht (und warum) wissen nur die Geheimdienste. Dabei hatte man doch vor gar nicht allzu langer Zeit noch das Gefühl, dank des Internets so viel besser und leichter informiert zu sein. Und was ist daraus geworden? Babel ist ein Witz dagegen.
Danke für das Foto, Vladimir Fedotov

