
Der intuitive Altar
„Auf Altären können Opfergaben dargebracht werden. Doch auch die Errichtung des Altars an sich und seine unter Umständen reiche Verzierung sind bereits ein Akt der Verehrung.“ Das sagt Wikipedia über Altäre, und auch wenn viele mit der Bezeichnung lediglich den Altar in Kirche in Verbindung bringen, so haben wahrscheinlich auch sie – völlig unbewusst – mindestens einen Altar bei sich zuhause. In der Wohnung, im Haus, im Garten, auf dem Balkon. Oder am Arbeitsplatz. Oder im Auto. Manchmal auch in der Schublade.
Wir haben fast alle eine bestimmte Stelle, die wir instinktiv ganz persönlich schmücken, mit individuellen Dingen, die eine besondere Bedeutung für uns haben. Ein Blick auf den Kaminsims, ins Bücherregal, auf den Schreibtisch im Büro oder das Armaturenbrett im Auto beweist es. Familienfotos, teilweise von Verstorbenen, Bilder allgemein, Andenken aus dem Urlaub, ein Glücksbringer, ein besonders schöner Stein, ein Kerzenständer, eine spezielle Figur oder Puppe. Die Erkenntnis, dass wir einen Altar gebaut haben, ist oft verblüffend (mir ging es so), und es kann ein wahrer Augenöffner sein, ihn zu analysieren. Wen oder was verehren wir da eigentlich? Das Meer? Den Wald? Die Berge? Schönheit oder eine bestimmte Tugend? Finden sich religiöse Symbole? Kerzen in einer bestimmten Farbe? Wer oder was ist auf den Bildern zu sehen oder als Figur wiederkehrend? Und wann genau halten wir vor unserem „Altar“ inne, wischen unbewusst Staub weg oder dekorieren um?
Die gerade hippen, minimalistischen Einrichtungstrends haben vielleicht den ein oder anderen Altar stark reduziert oder gar verschwinden lassen. Und doch kann man zum Beispiel im Hygge-Umfeld nahezu perfekte, heidnische Altäre sehen. Das Erbe der Wikinger? Die Elemente Wasser (Wasser, Muscheln, Vasen,…), Erde (Steine, Topfpflanzen, Mineralien,…), Luft (Räucherstäbchen, Potpourries, Raumluft-Verbesserer,…) und Feuer (Kerzen, Windlichter, Laternen,…) sind oft allesamt vertreten. Speziell zur Weihnachtszeit findet sich oftmals sogar das Pentagramm in Form eines Sterns unter den dekorativen Elementen des Altars. Achtet einmal darauf. Man könnte meinen, in jedem zweiten Haushalt lebt eine Hexe…
Die Sache mit den Opfern oder Ritualen ist dagegen seltener. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem man sich bewusst wird, dass man einen waschechten Altar gebaut hat. Sofern es keine Gefahr für die Mitbewohner (auch Haustiere sind gemeint) bedeutet, empfehle ich, einfach mal ganz bewusst ein Stück Schokolade, ein Glas Wein, eine Blume oder was auch immer auf dem Altar zu hinterlassen. Nein, die Gabe wird – wahrscheinlich – nicht über Nacht verschwinden. Aber möglicherweise passiert etwas anderes.
