Der Friedhofsgärtner
In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es (wie in jedem anderen Dorf) ein paar skurrile Typen. Es überrascht mich manchmal, wie beständig diese Skurrilität ist. In meinem Kopf scheinen Auffälligkeiten oder Abweichungen von der Norm mit Unregelmäßigkeit oder mangelnder Dauerhaftigkeit verknüpft zu sein. Was natürlich Unsinn ist, denn in der Regel ist das Gegenteil der Fall.
Den Friedhofsgärtner (nennen wir ihn Peter) kenne ich jedenfalls schon aus meiner Kindheit. Nur vom Sehen. Aber gesehen habe ich ihn täglich. Zumindest seinen Kopf und sein Auto. Er fuhr immer mit einem klapprigen Kleinwagen in einer schäbigen, grünlichen Farbe durchs Dorf, trug einen speckigen Hut und sah damals schon uralt aus. Ich habe ihn niemals außerhalb seines Autos gesehen. Dazu hätte ich vermutlich ab und zu mal auf den Friedhof gehen müssen, was ich nach Möglichkeit vermied.
Einen etwas genaueren Blick auf Peter konnte ich auf den Feldwegen erhaschen, wenn ich zwischen abgelegenen Gehöften zu meinen Pflegepferden unterwegs war. Dann stand Peters Auto manchmal irgendwo mitten auf dem Weg. Hätte man seine unverkennbare alte Rostlaube nicht erkannt, dann hätte es der Geruch verraten. Denn Peter saß drin und rauchte bei offenem Fenster eine fette Zigarre.
Jetzt, sehr viele Jahre später, bin ich nach langer Abwesenheit wieder ab und zu auf denselben Feldwegen unterwegs. Und ich begegne dort immer noch Peter. Er sieht noch genauso aus. Wirklich genau so. Als wäre in seinem Universum die Zeit stehen geblieben. Dasselbe faltige Gesicht, derselbe Hut. Dem Geruch nach immer noch die gleiche Zigarrenmarke. Sein Auto kann unmöglich noch dasselbe sein, aber es hat dieselbe Form und Größe, dieselbe undefinierbare Farbe, dieselben Rostflecken wie damals.
Vielleicht hat das Rauch-Ritual den Friedhofsgärtner konserviert. Magische Zigarren. Oder sein Job. Das Leben hier kann es jedenfalls nicht sein. Denn wenn ich sonst jemanden sehe, der auf gespenstische Art noch ganz genauso auszusehen scheint wie in meiner Jugend, dann ist es kein ehemaliger Klassenkamerad, sondern dessen Kind, das gerade in dem entsprechenden Alter ist.
In meiner Phantasie benutzt Peter all die Gebeine, die er beim Buddeln auf dem Friedhof findet, für okkultistische Praktiken, die ihn niemals sterben lassen werden.