Walk on the seaside
Grimoire

Das Schöne an eingeschränkten Verfügbarkeiten

Das, was ich erst als Problem betrachtet habe, beginne ich allmählich als Segen zu begreifen. Die begrenzten Verfügbarkeiten auf einer Insel. Die Sache mit dem Hundefutter habe ich ja schon bejammert. Was ich noch nicht erwähnt hatte, ist die Unmöglichkeit, an Aspirin zu kommen. Die Apotheken führen es nicht. Stattdessen habe ich nun etwas anderes. Zum Glück erfüllt es ebenfalls seinen Zweck. Und gestern musste ich feststellen, dass es in Ærøskøbing keine Hafermilch gibt. Ich bin dann tatsächlich extra nach Marstal gefahren, aber dort war sie aus. Immerhin gab es eine andere Nicht-Kuhmilch, und die tut es natürlich auch. Schmeckt anders, schäumt nicht so gut, aber nach zwei Tassen habe ich mich gewöhnt.

Es gibt in Søby einen „Brugsen“, der etwas von einem Tante Emma Laden hat, klein, dunkel, verwinkelt und ein bisschen durcheinander mit einer Menge Lücken in den paar Regalen. In Marstal gibt es einen „SuperBrugsen“. Chic, gut sortiert, groß. Aber bei weitem nicht so groß wie ein deutscher Supermarkt. Dafür mit Atmosphäre, schönem Geschirr und Barista-Hafermilch. Dann gibt es hier in Ærøskøbing einen „Netto“. Recht groß und preiswerter als die Brugsen-Kette, aber ein typischer Discounter – ohne Extras für Leute mit Sonderwünschen. Das wars mit den Einkaufsmöglichkeiten auf Ærø.

Man bekommt alles, was man zum Leben braucht. Aber die Auswahl ist deutlich geringer als man das gewohnt ist, wenn man aus einem Ballungsraum kommt. Keine zehn verschiedenen Marmeladen oder Nudelsorten, nicht die gewohnten Marken oder Yoghurtvariationen und schon gar keine Neuheiten (was vor allem Vegetarier oder Veganer zu spüren bekommen). Und man kann eben auch nicht einfach mal in die nächste Stadt fahren, wenn man partout etwas braucht haben will, das vor Ort einfach nicht zu bekommen ist.

Über einen begrenzten Zeitraum wie einen Urlaub ist das kein Ding, gehört vielleicht sogar dazu. Aber wenn einem klar wird, dass man von nun an auf Dauer weit weniger Auswahl hat und auf manches sogar ganz verzichten muss, kann man als verwöhntes Boomer-Balg schon mal schlucken. Dann stellt man auch noch fest, dass man bisher keinen einzigen Amazon-Lieferwagen zu Gesicht bekommen hat, obwohl sie doch am vorherigen Wohnort fix zum Straßenbild gehörten, und das weckt eine leise innere Unruhe.

Doch dann realisiert man, dass stattdessen lauter lächelnde Menschen die Straßen bevölkern. Freundliche Menschen, die so gesund und zufrieden aussehen. Und es fällt einem ein, dass die Dänen zu den glücklichsten Menschen der Welt zählen. Man erinnert sich außerdem daran, wie man als Kind ungläubig gelacht hat, wenn man Bilder von Supermarktregalen in den USA sah. Wie krank und idiotisch man das fand, obwohl es in Deutschland längst genauso aussieht. Man ahnt sowieso, dass diese fürchterliche, völlig absurde Dekadenz bald in sich zusammen fallen wird. Wahrscheinlich im nächsten Winter, wenn nicht sogar früher, wenn man sich die aktuelle Inflation vergegenwärtigt.

Die Reduktion beginnt mir zu gefallen. Weniger banale Entscheidungen, die man treffen muss. Fragen, die sich gar nicht erst stellen. Eine Art Hirn-Detox. Das Wesentliche gewinnt an Klarheit.

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