Grimoire

Danke, Disruption

Störungen, Unterbrechungen und Erschütterungen wie wir sie gerade erleben, sind immer große Chancen für Vorstöße, Innovationen und Entwicklungen, die sehr viel schneller als normalerweise voranschreiten. Dabei gibt es getreu den universalen Gesetzen dunkle und helle Seiten. Und wie immer bei Unsicherheiten und Veränderungen stehen 90% der Menschheit all dem erst einmal ablehnend gegenüber, selbst wenn es um objektiv Positives geht.

Ich selbst betrachte vieles von dem, was sich gerade abzeichnet mit gemischten Gefühlen. Manches, das mich eigentlich abschreckt, fasziniert mich angesichts Science-Fiction-bedingter Déjà-vus. Zum Beispiel die Drohnen der Polizei, die auf öffentlichen Plätzen patroullieren oder die allgegenwärtigen Masken. Die Apps, die unsere Bewegungen und Begegnungen nachvollziehen, und die wohl kaum wieder (vollständig) verschwinden werden, wenn das alles vorbei ist. Die Gesetze, die Macht in Ausnahmesituationen erweitern sollen, aber sicherlich Spuren hinterlassen werden, die allzu leicht zu ausgetretenen Pfaden und später Schnellstraßen mutieren werden.

Dann gibt es die Dinge, die ich beklatschen möchte, weil es genau die sind, für die man diese Krise nutzen sollte – obwohl ein Kreischen durch die Reihen geht, das aber mit etwas Glück im allgemeinen Grund-Kreischen untergeht. Die Stadt Brüssel, die die Innenstadt nach der Krise gar nicht erst wieder öffnet, sondern eine Fußgängerzone (ich vereinfache, weil es mir ums Prinzip geht) daraus macht. Homeoffice als plötzlich doch nicht mehr ganz so schwer zu realisierende Option. Vorankommen bei der Digitalisierung für Bildung und Behörden. Neu oder wieder entdeckte Kreativität bei eigentlich allen – Menschen, Unternehmen und Organisationen. Wertschätzung (hoffentlich in aller Konsequenz) für pflegende Berufe. Ernüchterung darüber, was „systemrelevant“ bedeutet. Wir wollen nicht wieder zurück zur „Normalität“ von gestern, oder? Wenn wir den Klimawandel nicht völlig vergessen haben, dürfen wir es auf keinen Fall.

Leider gedeihen in diesen Zeiten auch Verschwörungstheorien, Fake News und neue Betrugsmaschen. Und Existenzangst scheint allgegenwärtig. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Tote diese Krise abseits von COVID-19 bringen wird. Selbstmorde, Opfer von häuslicher Gewalt, Tote bei sozialen Unruhen in weniger privilegierten Ländern. Menschen, die in Altenheimen verhungern oder verdursten, weil das Personal nicht mehr zur Arbeit erscheint, wie zuletzt in Kanada. So viele Horrorszenarien. Das alles sind Probleme, für die meines Wissens nach noch keine kreativen, neuartigen Lösungsansätze existieren, obwohl ihre Wurzeln keineswegs neu sind. Abgesehen vielleicht vom Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens. Aber vielleicht tut sich da noch was. Denn es wird ja dauern.

Worauf ich mich auf jeden Fall freue: Post-Corona in Kunst und Kultur. Besonders gespannt bin ich auf die Künstler, die jetzt noch Kinder sind. Das wird eine Generation voller Überraschungen.

Disclaimer: Natürlich freue ich mich nicht über die Situation. Ich habe ganz reale Angst um Verwandte und Freunde. Täglich lese oder höre ich von Schicksalen, die mir die Tränen in die Augen treiben. Auch mich selbst plagen handfeste Sorgen. Ich hoffe einfach, das all das zumindest verhindert, das wir so weitermachen wie bisher.