
Brot nach Hause
Bei einem erheiternden Abend mit einem meiner liebsten und längsten Freunde kam das Gespräch auf die heutige Jugend und deren musikalische Vorlieben. Im Gegensatz zu besagtem Freund höre ich manchmal noch den Musiksender, den wir damals liebten. Er hat ihn längst aufgegeben, aber bei mir läuft er noch im Auto, wenn beim DLF abends Klassik das Programm bestimmt. Allerdings übermannt mich immer öfter die Fassungslosigkeit, und so erzählte ich gestern von ein paar Songs, die derzeit rauf und runter gespielt werden, während sich mir sämtliche Haare aufstellen.
Das Genre scheint eine Mischung aus Deutschrap, Neo-Schlager (warum nur??) und Eurodance zu sein, und was mich an den betreffenden Titeln besonders fertig macht, sind die Texte und die Artikulation, mit der sie dargeboten werden. Ich bin bekanntermaßen eh kein Fan deutschsprachiger Musik, und wenn die Worte dann noch klingen, als… – naja, lassen wir das. (Vielleicht sollte ich jetzt langsam mal einen Disclaimer anbringen: Natürlich ist Musik Geschmackssache, und auch ich habe damals unterirdische Musik von äußerst fragwürdigen „Künstlern“ mit verabscheuungswürdiger Attitüde gehört.)
Jedenfalls suchte ich zwecks Illustration meiner bodenlosen Abneigung auf Youtube nach dem Titel eines Künstlers, der gerade besonders populär ist. Ich hatte unlängst herausgefunden, wie der Typ heißt, aber der Name des betreffenden Songs war mir nicht bekannt, und so fiel mir in der Suchergebnisliste ein Titel ins Auge, der zwar nicht der gesuchte war, aber mir so seltsam erschien, dass ich ihn anspielte. Er nannte sich Brot nach Hause. Wenige Sekunden später lagen wir hysterisch kreischend unter dem Tisch, das ist keine Übertreibung, und es war kein Alkohol im Spiel.
Vor allem in Kombination mit den dazugehörigen Videoclips dürfte ein Laie abwechselnd zu hundert oder zu null Prozent sicher sein, dass es sich bei den diversen Werken des Künstlers um reine Satire handeln muss (ich fühlte mich leise an Sacha Baron Cohens „Super Greg No. 1“ erinnert). Deshalb habe ich heute versucht, mich darüber schlau zu machen, denn man kann sagen, was man will, der Künstler löst etwas aus, und wertfrei betrachtet ist das ja schon mal eine Leistung. Beweise dafür sind auch diverse „Reaction“-Videos aus aller Welt. Darüber hinaus überschlagen sich sämtliche Musik-Medien mit Lobpreisungen der musikalischen Genialität des Mannes, und wenn ich ganz unvoreingenommen und ohne Text und Bild daran gehe, kann ich zumindest erahnen, was sie damit meinen – eine gewisse Eingängigkeit ist nicht zu leugnen. Nicht zuletzt gibt der Erfolg dem Künstler recht: Er bringt zweifellos tatsächlich Brot (Brooot) nach Hause.
Wenn man seinem Management Glauben schenken darf, wollte der neue Stern am deutschen Pop-Himmel ursprünglich Jurist werden. Doch er erkannte beizeiten, dass er es mit dem schamlosen Gebaren eines chauvinistischen Proleten wesentlich weiter bringen würde. Das ist es, was mich immer noch fasziniert. Womit man in unserer Welt reich wird. Und wie sehr mir das widerstrebt. Das Leben wäre deutlich leichter, wenn ich meine innere Rebellion gegen den Stand der Dinge endlich aufgeben würde. Ich betrachte es immerhin als Gewinn, dass es mich zukünftig, wenn der besagte Künstler wieder im Radio zu hören ist, mehr amüsieren als empören wird.
