Troubled Blood
Grimoire

Böses Blut

Mit diesem Blogbeitrag habe ich mich ewig herum gequält. Eigentlich hätte es eine simple Buchrezension werden sollen, doch dann wurde es kompliziert, weil das besagte Buch, Troubled Blood von Robert Galbraith aka J.K. Rowling, eine (überfällige) innere Grundsatzdiskussion in mir losgetreten hat.

Wie gut mir die Londoner Detektivgeschichten um Cormoran Strike und Robin Ellacott gefallen, habe ich hier schon einmal geschrieben. Entsprechend sehnsüchtig habe ich den fünften Band erwartet: Troubled Blood. Das Buch hat in der Printversion irgendwas um die 1000 Seiten, und was soll ich sagen – ich habe es in Rekordzeit verschlungen. Wahrscheinlich ist es mein neuer Favorit der Strike-Serie, die meiner Meinung nach der Harry Potter Reihe in nichts nachsteht. Frau Rowling kann einfach fantastisch schreiben, und damit meine ich alles, von den Plot-Ideen über die Charaktere bis zur Schaffung einer ganz speziellen Atmosphäre.

Bei diesem Statement spüre ich den Tadel der Political Correctness wie pieksende Kletten in den Hosenbeinen. Die Autorin wird als TERF (trans-ausschließende radikale Feministin) bezeichnet, teilweise wegen verschiedener Äußerungen in der Öffentlichkeit und teilweise wegen eines angeblichen Musters in der Strike-Serie.

Die Gründe für Ersteres kann ich nachvollziehen, wenn auch mit ein wenig Mühe, aber das ist ja immer so eine Sache, wenn man nicht zur betroffenen Personengruppe gehört. Allerdings kann ich mich zu mindestens 50 % mit Rowlings Gedanken in dem Statement in ihrem Blog identifizieren. Tut mir leid, aber ist so. Dazu komme ich gleich noch einmal.

Letzteres, das angeblich transfeindliche Muster in Rowlings Büchern, kann ich nicht nachvollziehen. Ja, es gibt in The Silkworm, dem zweiten Teil der Serie, eine Transperson, die nicht besonders gut wegkommt. Allerdings kommen eine ganze Menge andere Personen, die ebenfalls leicht in gewisse Schubladen passen, auch nicht besser weg. Das ist schließlich ein Teil des Konzeptes solcher Detektivgeschichten: die vielen skurrilen Personen, gerne klischeehaft überzeichnet, mit mehr oder weniger Dreck am Stecken und in suspekte Nebenstränge verstrickt, die man im Zuge der Handlung alle irgendwann mal als den potenziellen Mörder in Erwägung zieht. Models, Rockstars, Obdachlose, Junkies, Aristokraten, Politiker, Journalisten, Autoren, Verleger, Anwälte, Diven, Soziopathen, you name it. Die Transperson im Silkworm ist es am Ende übrigens nicht.

In Troubled Blood geht es um einen Cold Case. Vor vierzig Jahren verschwand eine junge Mutter spurlos. Da zu der Zeit ein Serienmörder sein Unwesen trieb, wird allgemein angenommen, dass auch sie ihm zum Opfer fiel. Der Mörder, der sich manchmal als Frau verkleidet hatte, um sich bei seinen weiblichen Opfern einen Vertrauensvorschuss zu erschleichen, wurde wenige Jahre später gefasst, ließ aber offen, ob er die Vermisste auf dem Gewissen hat.

Dieser Serienmörder ist keine Transperson – Achtung, Spoiler bis zum Ende dieses Absatzes! – und auch nicht der Mörder der verschwundenen Frau, um die es in dem Buch geht. Die wurde nämlich von einer Kollegin, einer Krankenschwester und ebenfalls Serientäterin, umgebracht. Diese agierte eventuell ein bisschen weniger brutal als das bereits überführte, männliche Monster, aber nicht weniger grausam. Vielleicht sogar etwas grausamer, wenn man die engen Beziehungen zu ihren Opfern betrachtet, zu denen auch ihr eigener Sohn und dessen Kind gehörten.

In Troubled Blood hat J.K. Rowling einmal mehr ein meisterhaftes Netz gesponnen, in dem Sozialkritik, Feminismus, Nationalismus, Esoterik, psychische Erkrankungen und die bewegten Gefühlswelten der Haupt- und Nebencharaktere ohne jede Oberflächlichkeit und erhobene Zeigefinger durchleuchtet werden. Es ist genau diese Herangehensweise, die ich an Fiktion so schätze, denn anders als permanente Anklagen und Beleidigungen oder die so beliebte „Cancel Culture“ bewirkt sie im Kopf des Lesers wirklich etwas. Und damit meine ich explizit nicht, dass irgendjemand beim Lesen des Buchs (oder der Buchreihe) zum Transfeind werden könnte.

Vielleicht liest sich das alles wie eine Rechtfertigung dafür, dass ich J.K. Rowling nach wie vor feiere. Dabei möchte ich nach der Lektüre von Troubled Blood und meiner drauf folgenden Hirnmarterei genau das nicht. Nicht mehr. Ich habe das nämlich viel zu oft getan: Der politischen Korrektheit oder dem Stand der Wissenschaft Vorrang gegeben, wenn meine eigenen Erfahrungswerte ganz deutlich etwas anderes sagen. Ursprünglich wollte ich hier ein paar konkrete Beispiele anführen, denn davon gibt es vor allem aus meiner Zeit in Wien und Ernstbrunn viele. Aber damit würde ich mich erneut Richtung Rechtfertigung neigen. Lieber probiere ich es jetzt mal eine Weile ohne. Möglicherweise betrachte ich das später einmal als Phase der Verirrung. Die war dann aber nötig.

Danke für das Foto, Racheal Lomas