
Ærøs Nordwesten
Ærø kann man mit fast 90 Quadratkilometern Fläche nicht als winziges Eiland bezeichnen. Aber wenn ich mir vor Augen führe, dass man in einer halben Stunde ganz gemächlich von einem zum anderen Ende fahren kann, ist die Insel eben auch nicht groß. Dieser Eindruck verstärkt sich, weil man unterwegs sowohl rechts als auch links fast immer das Meer sehen kann. Ærø ist schmal und wirkt daher überschaubar. Umso mehr überrascht mich die Vielseitigkeit. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich, und der Nordwesten wirkt insgesamt rauher, wilder, als der sanftere, beschaulichere Südosten.

Dies hier wird ein erster Gesamteindruck, denn für genauere Eindrücke von einzelnen Orten fehlt mir bis jetzt die Zeit. Sollte ich hier bleiben, hole ich das sicher nach, denn mir scheint, dass vor allem die einzelnen Dörfer auf der Insel einen aufmerksamen Blick verdienen. Das merkt man schon beim Durchfahren. Jedes hat ein Alleinstellungsmerkmal, eine Besonderheit, die einen Besuch lohnt. Aber mir geht es ja in erster Linie um die Naturlandschaften, und nachdem ich mich wider Erwarten in die Stadt Marstal verliebt hatte, bin ich jetzt hellauf begeistert von dem, was das genau entgegensetzte Ende von Ærø zu bieten hat.

Als erstes waren wir beim Leuchtturm, Skjoldnæs Fyr. Schon der Weg dorthin macht Spaß. Die Hügel sind hier höher als im Osten, und bis auf ein paar alte Häuschen scheint die Gegend hinter der kleinen Hafenstadt Søby fast unberührt. So ist es natürlich nicht, Landwirtschaft ist allgegenwärtig, und um den Leuchtturm herum findet man den wahrscheinlich schönsten Golfplatz der Welt. Aber zumindest hat man für dessen Betrieb keine modernen Zweckbauten errichtet, sondern die alten zum Leuchtturm gehörenden Gebäude genutzt. Fast wünscht man sich, Golf zu spielen, denn Aussicht und Gelände sind ein Traum.

Hinter Skjoldnæs Fyr befindet sich ein scheinbar endloser Steinstrand, an dem ich gerne einmal ganz in Ruhe nach Fossilien suchen würde. Zwischen Strand und Leuchtturm soll sich außerdem das Grab einer sehr jungen Königin befinden. Sie war der Legende nach unmittelbar nach ihrer Hochzeit gemeinsam mit ihrem frisch angetrauten Gemahl im Kleinen Belt ertrunken und hier angeschwemmt worden. Außer einer flachen Mulde sieht man nichts, aber die Phantasie findet hier ausreichend Platz zum Streunen.

Was wir uns außerdem angeguckt haben, ist der Küstenstreifen zwischen Ærøs ältestem Wald, Laaddenbjerg Plantage, und dem berühmten Naturschutzgebiet Vitsø Nor.

Hier findet man eine Gruppe authentischer Fischerhütten, die ich mindestens so sehenswert finde wie die populären Badehäuschen in Ærøskøbing und Marstal. Sie sind alt und verwittert und erscheinen fast wie aus der Zeit gefallen, aber es ist offensichtlich, dass sie nach wie vor genutzt werden. Fischfang abseits der heute üblicheren industriellen Variante, ist ein ausgesprochen hartes Brot, das erahnt man hier. Aber man kann auch erkennen, warum einige dennoch daran festhalten. Die Hütten sprechen von Teamwork, Tradition, unmittelbarer, einfacher Nahrungsbeschaffung und einem direkten Draht zu Meer und Natur. Wildromantisch, würde man wohl als Tourist sagen – und dafür von den Fischern eine Schelle kassieren. Leider sind meine Fotos, abgesehen vom Titelfoto, alle nichts geworden, weil meine Linse vom Regen voller Wassertropfen war.

Vom Naturschutzgebiet Vitsø Nor haben wir nur einen kurzen Blick erhascht, weil ich hierfür sowieso noch einen Tagesausflug eingeplant habe. Es ist viel größer als ich es mir vorgestellt hatte und mit Sicherheit der Traum jedes Ornithologen. Seen, Sumpf und Meer verbinden sich zu einem wahren Paradies für selten gewordene Tier- und Pflanzenarten, und obwohl die Touristensaison langsam beginnt, war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Dabei ist es einfach wunderschön hier, selbst bei denkbar schlechtem Wetter und sicher nicht nur für Naturbegeisterte.



